Caleta Tortel – Puerto Natales – Santiago

Die Fähre von Puerto Yungay über Caleta Tortel nach Puerto Natales fährt in der Saison alle paar Tage, braucht, wenn alles gut geht 41 Stunden und man Bucht sie am besten im Voraus. In Caleta Tortel hält sie zwischen 21 und 22 Uhr abends.

Wie der ganz Ort, hat auch der Fähranleger keinen Zugang zu einer Straße. Um mit dem Rad dorthin zu kommen, muss man zunächst Fahrrad und Gepäck hunderte Stufen runtertragen, dann theoretisch 20-30 Minuten über Holzbohlenwegen am Ufer entlang schieben/fahren. Praktisch werden an einer Stelle die Bohlen gerade repariert, was bedeutet, dass man das Rad zusätzlich vieleviele Stufen rauf und wieder runtertragen müsste. Den ersten Schritt – Rad zum Ufer tragen – bekomme ich hin. Ab da nutze ich die teure, aber auch ganz lustige Alternative: im Ort findet sich ein junger Mann, der mich samt  Rad per Schlauchboot durch den aktuellen Sturm zum Anleger bringt. Funktioniert schnell und unproblematisch.

Die Fähre erscheint pünktlich am Anleger zwischen den in der Dämmerung gerade wieder aktiven Moskitos, die angemeldeten und unangemeldeten (meins!) Fahrräder rollen drauf, Plätze werden gesucht, Decken verteilt und es geht los.

Die Fähre hat keine Kabinen, lediglich Sitzplätze, die sich weit zurückstellen lassen. Gegessen wird in mehreren Schichten in der relativ kleinen Cafeteria. Die Aussicht ist die ganze Fahrt über großartig, der Wind allerdings eisig.

Wie es sich gehört, ein Schiffswrack auf dem Weg.
Eingefangener Gletschereisbrocken

Puerto Natales und Torres del Paine

Eigentlich bin ich zu müde, aber für den Tag nach der Ankunft im Puerto Natales ist gutes Wetter angesagt. Also setze ich mich morgens um 7 im den Bus nach Torres del Paine. Ich bin nicht die einzige: um diese Zeit fahren Busse im 5-Minuten-Takt ab, die meisten Fahrgäste haben große Rucksäcke für Mehrtagestouren. Ich nicht. Man muss Unterkünfte  und Campingplätze Campingplätze ein paar Wochen im Voraus reservieren, wenn man sich zu spät kümmert, kann es sehr teuer werden.

Schon aus dem Bus gibt es ab und zu einen kurzen Blick auf die berühmten Felsentürme, die Hauptattraktion des Parkes. Dorthin führt auch der Wanderweg, den ich nehme. Wieder bin ich nicht allein. Wirklich, auf den etwas 10 km und 1000 Höhenmetern zum Ziel gibt es nur wenige Momente, in denen ich nicht hinter mir Schritte höre und vor mir Leute sehe. Das Wetter ist gut, die Aussicht großartig, die Wanderung anstrengend, aber, wie eine andere Touristin sagte klare Disneyland-Vibes.

Obwohl es sich landschaftlich wirklich lohnt, entscheide ich mich dagegen, noch einmal zum Nationalpark zu fahren und mache stattdessen eine kleine Wanderung auf den Cerro Dorothea bei Puerto Natales. Auch hübsch und kaum Aufwand. Allerdings: wie auch an anderen Orten in Chile führt der Weg mindestens teilweise über Privatgelände. Und für Europäerinnen wie mich ist es schon sehr gewöhnungsbedürftig, wenn am Beginn eines Wanderwege jemand steht und Eintritt kassiert.

Und dann muss ich mich schon um den Flug nach Santiago kümmern. Fahrradkarton bekomme ich keinen, aber ich drapiere kosmetisch Kartons ums Rad, bevor ich es in fast 100 m Frischhaltefolie wickle. Bei der Fluggesellschaft geht mein Machwerk problemlos durch.

Santiago

hat über 7 Mio Einwohner, jede Menge Verkehr und auch eine Reihe von Radwegen. Allerdings: Radfahren ist anstrengend, und bis man den besten Weg gefunden hat, muss man manchmal einige ausprobieren. Ich fahre eine Woche lang jeden Morgen zu einem Sprachkurs und auch mal zu einem Museum.

Was es sonst noch in und um die Stadt gibt:

Sehr empfehlenswert ist das Museum für Präcolumbianische Kunst in der Nähe der Plaza de Armas.

Los Dominicos ist eine Art Markt für Kusthandwerk /Souvenirs direkt an der Endstation der Metro – Linie 1. Vorteil: es ist ruhig hier und schattig.

Es gibt, wie in vielen Städten Free City Tours. Gut und mit knapp 3 1/2 Stunden sehr ausführlich.

Klar, auf dem Hügel San Christobal muss manal gewesen sein. Zum Glück fährt ein Funicular hoch.

Am Stadtrand gibt es eine Reihe von Weingütern, die Führungen und Weinproben anbieten. Meine Tochter und ich (sie ist für 4 Wochen nachgekommen! Hurrah!) entscheiden uns für Santa Rita weil es gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist. Per Rad wahrscheinlich auch, aber meine Tochter hat keins hier.

Das Maipo-Tal scheint die Freizeitregion schlechthin für die Hauptstadt zu sein. Mit meiner Sprachschule fahre ich zum Rafting hin. Lohnt sich!

Außerdem machen wir noch einen Ausflug nach Valparaiso. Viele schöne Wandbilder, eine Reihe schöner, alter, aber oft heruntergekommener Häuser, Pablo-Neruda-Haus, aber sonst…besonders attraktiv finde ich die Stadt nicht.

Coyhaique – Caleta Tortel

Coyhaique – El Blanco

35 km, 480 Hm

Die Strecke nach Villa Cerro Castillo ist ziemlich weit und allzu viele Orte liegen nicht auf dem Weg, deshalb ist die Tour heute ziemlich schnell zu Ende, in einem kleinen Dorf am Zusammenfluss zweier kleiner Flüsse, auf einem sehr schönen Campingplatz.

Auffällig ist, wie sich die Landschaft ändert: statt des kalten, aber sehr dichten Regenwalds gibt es plötzlich Felder, Wiesen, ein paar kleine Kiefernplantagen. Tatsächlich erfahre ich am Nachmittag, dass Siedler überall hier die Urwälder abgeholzt haben, sie sich aber je nach örtlichem Mikroklima sehr unterschiedlich erholt haben. Hier also: eher schlechter. Es ist schon auf ein paar hundert Meter Höhe relativ kalt und auch sehr windig.

El Blanco – Villa Cerro Castilla

62 km, 1067 Hm

Auch wenn die Strecke nicht so lang ist, anstrengend ist sie. Es geht über weite Strecken bergauf, nur zuletzt in Serpentinen bergab. Zur Steigung gesellt sich irgendwann Gegenwind und das Absurde: über eine weite Strecke habe ich den Eindruck, dass es schon bergab geht, obwohl sowohl die Anstrengung als auch der neben der Straße fließende Bach eindeutig das Gegenteil sagen. Das macht das Vorwärtskommen schon einigermaßen frustrierend.

Cerro Castillo ist ein Dorf wie auch die anderen in der Gegend, alle sind sie nicht sehr alt, alle haben sie keinen historischen Kern, weil sie schlicht nicht viel Geschichte haben. Sensationell ist allerdings die Landschaft rund um den Ort, spitze Gipfel, Gletscher. Die Gegend ist ein Wandergebiet, wenn auch ich nicht genug Zeit habe, um noch einen Wandertag einzuschieben.

Villa Cerro Castilla – ein Campingplatz unterwegs

38 km, anscheinend 750 Hm

Der Wetterbericht verspricht heute zwar keinen Regen, zeigt aber eine tiefrote Windfahne, für mich genau von vorn. Und so ist es dann auch: ich glaube, ich bin noch nie bei einem solchen Sturm Rad gefahren. Abwarten nützt nichts: dieser Sturm war bislang an jedem einzelnen Tag vorausgesagt, an dem ich den Wetterbericht für den südlichen Teil der Carretera Austral angesehen habe. Dazu kommt, dass nach etwa 15 km der befestigte Teil der Straße zu Ende ist. Von nun an rumple ich über Schotter und Waschbrettpiste.

Immer, wenn ein Auto vorbeifährt, bin ich in Staub gehüllt. Und weil gestern meine Sonnenbrille kaputt gegangen ist, kann ich die Augen nicht schützen, sie sind noch am Abend rot.

Der eine Campingplatz, der nach 38 km kommt, ist glücklicherweise ein bisschen windgeschützt, außerdem hat er ein Haus mit Aufenthaltsraum und ist sehr nett gelegen. Es handelt sich sich um einen funktionierenden Bauernhof, überall laufen Hühner, Gänse, Enten, Ziegen, Schafe und Hunde herum, alles sehr nett.

Nach Puerto Rio Tranquillo

Um 81 km, knapp über 800 Hm

Das Windproblem lässt spürbar nach, und nach einem Teil der Strecke wechsle ich auch die Richtung. Die Waschbrettstraße, die Steigungen und vor allem der Staub nach jedem vorbeifahrenden Auto bleiben aber. Es ist jetzt schon sehr, sehr anstrengend und ich brauche mit ein paar klei en Pausen wirklich den ganzen Tag bis nach Puerto Rio Tranquillo.

Der Ort wäre eigentlich ziemlich klein, wäre er nicht ein Touristenmagnet. Es gibt hier Marmorhöhlen, die mit kleinen Booten besucht werden können.

Ich bin aber zunächst damit beschäftigt, eine Unterkunft zu finden. Ich bin nicht die einzige. Menschen mit und ohne Rucksäcken und Fahrrädern ziehen durch die Straßen und fragen überall nach Unterkünften – die fast alle voll sind. Ich lande schließlich im teuersten Hotel des Ortes,anscheinend die einzige Option mit Ausnahme eines Campingplatzes.

Puerto Rio Tranquillo

Die Fahrt steckt mir am nächsten Morgen noch in den Knochen, außerdem muss ich mich schon wieder um eine Unterkunft kümmern, auch das teuerste Hotel kann mich nicht für zwei Nächte unterbringen.

Am späten Vormittag steige ich dann in eins der Touristenboote zu den Marmorhöhlen. Die lassen sich auch per Kayak besuchen, eigentlich schöner, aber so viel Sport brauche ich gerade nicht.

Vor dem Einstieg bekommen alle lange Regenumhänge, Schwimmwesten und die Information, dass es sich schon um Abenteuertourismus handelt. Außerdem, dass der Lago General Carrera ursprünglich Chelenko hieß, und dass das „stürmisch“ bedeutet. Wir spüren dann auch gleich warum. Die Fahrt durch freies Wasser hat viel von einer Achterbahnfahrt, ständig Kribbeln im Bauch, wenn das Boot wieder eine Welle herunterfällt. Später erfahren wir, dass der Hafen kurz nach unserer Ausfahrt geschlossen wurde.

Dann wird es ruhig die Marmorhöhlen liegen geschützt – und sie sind wirklich sehr beeindruckend. Das Boot kann gerade so in die meisten Höhlen hineinfahren, vorausgesetzt, alle sitzen still und lassen den hervorragenden Bootsführer vorsichtig rangieren.

Rio Tranquillo – Cochrane

Mit dem Bus!

Das Radfahren in den Tagen zuvor war anstrengend, aber eine längere Pause ist in meiner Zeitplanung kaum drin. Also entscheide ich mich, ein Stück Bus zu fahren, und dann einen Tag gar nichts zu tun.

Mit den Bussen ist das so, dass sie meistens Fahrräder mitnehmen. Der Busfahrer entscheidet und kassiert im Zweifel einen vermutlich selbst ausgedachten Betrag für den Transport. Ob man wirklich mitkommt und ob es reicht, das Vorderrad herauszunehmen, erfährt man erst kurz vor der Abfahrt. Ich habe jedenfalls schon einen Bus in Rio Tranquillo ankommen sehen, ausgebucht bis auf den letzten Platz und der Busfahrer hatte zu tun, normales Gepäck irgendwie im Gepäckfach unterzubringen. Ich habe also Bedenken, was mein Fahrrad betrifft. Und da sehe ich morgens vor meiner Unterkunft, die Lösung: ein Auto mit einer ganzen Reihe von Fahrradhalterungen. Ich frage also, ob sie nicht mein Rad mit nach Cochrane nehmen können. Und tatsächlich, es handelt sich um einen Fahrradverleih und Fahrrad-Reiseagentur. Sie organisieren geführte und ungeführte Touren entlang der Carretera Austral und ja, sie sind bereit, mein Rad mitzunehmen. Und sie wollen dafür noch nicht einmal bezahlt werden. Da sie mit einer geführten Tour unterwegs sind, brauchen sie für die Strecke 2 Tage aber das passt ja zu meinem Wunsch nach Pause. Supernette und hilfsbereit also, die Jungs von Cicloturismo Patagonia. Mein Rad wird verladen, ein paar Sachen müssen dazu angeschraubt werden und es fährt erstmal ohne mich los.

Ich warte dann mal auf den Bus. Er soll um 12:30 fahren, die Rucksäcke sammeln sich an der Haltestelle. Gegen 13 Uhr hat jemand telefoniert. Der Bus ist liegengeblieben. So gegen 16 Uhr könnte es was werden. Man lernt langsam die anderen Wartenden kennen, ich treffe zwei Bekannte aus den ersten Tagen der Reise wieder, das Haltestellencafé macht gute Geschäfte. Um 17 Uhr kommt er dann tatsächlich, der Bus und bringt uns in den nächsten 3 Stunden unfallfrei nach Cochrane. Dort wartet schon Andrea auf mich, meine Airbnb Wirtin. Sie holt mich nicht nur mit ihrem Auto vom Busbahnhof ab, sondern versorgt mich auch gleich noch mit Abendessen und Gesellschaft.

Cochrane – ein Campingplatz unterwegs

71 km, um 900 Hm und jede Menge Waschbrettpiste

Die ersten paar km der Strecke sind tatsächlich asphaltiert! Anscheinend durch die Stadtverwaltung von Cochrane, und ich liebe sie dafür! Lange währt das Glück leider aber nicht, dann geht es wieder auf Wellblechschotter weiter. Der Anfang ist landschaftlich super, der Himmel ist blau, allzu viel Wind ist auch nicht.

Unterwegs gibt es sogar so etwas wie ein kleines Café, eine alte Frau, die Kaffee, Tee, Kakao zu Brötchen mit ihrer selbstgemachten Marmelade und Käse anbietet, wenn man sich denn den Weg zwischen ihren Ziegen hindurch zu dem kleinen Häuschen gebahnt hat.

Nach der Pause wird das Wetter dann leider schlechter und irgendwann ist er wieder da, den patagonischen Dauerregen. Der Campingplatz, an dem ich mein Zelt aufschlage, hat zum Glück Unterstände für die Zelte – bushaltestellenförmige Wellblechkonstruktionen, nicht schön, aber soso praktisch, wenn man nicht möchte, das das Zelt wie der restliche Platz über Nacht im Schlamm versinkt!

Nach Caleta Tortel

58 km, Waschbrett und sonstiges Ripio

Überraschend wird mein Zeltunterstand in der Nacht nicht überschwemmt – trockenen Fußes zum Bad zu kommen wird aber im Laufe der Nacht immer schwieriger. Morgens suche ich mir ein kleines regenfreies Zeitfenster und fahre los, weiter über holpriges Ripio. Es ist nun schon einsamer als auf den ersten paar hundert km. Dennoch, überall unterwegs gibt es Höfe mit ein paar Tieren, zwar keine Dörfer aber einzelne Häuser und Menschen findet man überall.

Gegen Mittag ein kleiner Laden, eine Frau verkauft Andenken, selbst gestrickte Mützen und Pullover, Marmelade. Daneben ist gleich eine ganze Touristengruppe angekommen, denen vorgeführt wird, wie früher Holz in Flößen den Rio Baker heruntertransportiert wurde. „Früher“ ist dabei gerade etwas mehr als zwanzig Jahre her,  erst da würde die Carretera Austral gebaut und erst seitdem gibt es überhaupt eine Transportalternative zum Fluss.

Am Nachmittag dann komme ich in Caleta Tortel an, meiner letzten Station auf dem Rad.

Caleta Tortel ist ein Ort aus Treppen und Holzbohlenwegen, nur der obere Teil hat Zugang zu einer Straße. Es gibt zwei kurze Wanderwege, außerdem werden Bootstouren angeboten.  Touristisch, aber überschaubar.

Einen der Wanderwege probiere ich aus, über den Cerro Tortel. Schöner Weg, super Aussicht, allerdings bin ich die halbe Zeit damit beschäftigt, nicht zu tief in den Morast zu waten, die andere Hälfte versuche ich (erfolglos), nicht von den Moskitos aufgegessen zu werden.

Von Puyuhuapi nach Cohaique

Puyuhuapi – Nationalpark

22 km und eine geringe Menge Höhenmeter

Es hört nicht auf zu regnen. Ich packe mich in Regensachen und alles, was nicht in den Ortlieb-Taschen steckt, (nicht viel) in Plastiktüten. Sachen trocken zu halten ist eine eigene Herausforderung.

Die heutige kurze Fahrt klingt anstrengend, OSMand behauptet, 600 Höhenmeter. Das stellt sich als Unfug heraus. Die Straße führt am Ufer entlang, mit ein bisschen Auf und Ab, aber überschaubarer Anstrengung. Einer der Campingplätze in der Nähe des Eingangs zum Queulat- Nationalpark vermietet auch Zimmer, ich nehme eins.

Der  Nationalpark ist heute geschlossen, ich spaziere trotzdem einmal in die Richtung. Unterwegs treffe ich eine andere Touristin, die mir sagt, dass man ein Stück neben dem Eingang über den Zaun klettern kann. Also los. Zahlen würde ich ja gern, aber den morgigen Tag noch abzwarten, ist mir doch zu viel. Der Zaun hat oben einen Stacheldraht, aber in einigen Stellen ist er über Felsen gebaut. Dort komme ich in der Tat ganz gut rüber. Dann spaziere ich weiter im Nationalpark hin zu einer großen Hängebrücke, von der aus man einen Blick auf den beeindruckenden rauschenden Fluss und den hängenden Gletscher hat, der die Hauptattraktion dieses Nationalparks ist. Ein bisschen merkwürdig komme ich mir natürlich schon vor: ich bin in diesem ganzen großen Park komplett allein. Für die größere Wanderung zu einem besseren Aussichtspunkt ist es auch schon zu spät. Auch die Bootsfahrten, die an anderen Tagen angeboten werden, gibt es heute natürlich nicht. Trotzdem, ein sehr schöner Spaziergang.

Der hängende Gletscher – ventisquero colgante

Queulat Nationalpark – Villa Amengual

67 km, zwischen 1000 (Google) und 1600 (OSMand) Höhenmeter – ich tippe auf die 1200 von Komoot

Ich hatte ja langsam auf besseres Wetter gehofft, fahre aber noch lange durch den Regen. Dazu kommt, dass der Hauptanstieg nicht asphaltiert ist. Zusammenfassend: es ist wie  die letzten Tage landschaftlich sehr schön, aber es ist auch ganz schön anstrengend. Außerdem bei der Abfahrt vom Pass herunter eisig kalt. Ich brauche dringend Handschuhe und stelle fest, dass die Fahrradhandschuhe patschnass sind. Fast bin ich froh, als es danach wieder bergauf geht.

Villa Amengual – Villa Mañihuales

58 km, 560 Hm

Hurra! Ich fahre los und es regnet nicht, den ganzen Tag nicht! Dazu ist die heutige Etappe auch nicht allzu anstrengend. Es geht wie immer auf und ab, aber es ist kein echter Berg im Weg. Leider ist auch so etwas wie ein Café, oder auch nur eine kleine Schutzhütte nicht im Weg. Deshalb fahre ich praktisch ohne Pause durch nach Villa Mañihuales – morgen muss es definitiv mehr Unterbrechung geben.

Unterwegs treffe ich andere Radfahrer, ein Paar aus Australien, dem ich schon zweimal über den Weg gelaufen bin und ein Paar aus den USA.  Alle vier sind sie „Full-time traveller“ seit mehreren Jahren unterwegs, das eine Paar hat seinen Haushalt ganz aufgegeben, das andere denkt darüber nach. Wozu eine Wohnung, wenn man doch ein Fahrrad hat…

Das heutige Ziel, Villa Mañihuales, ist deutlich größer als das letzte Dorf. Es gibt zahlreiche Unterkünfte, einen hübschen Fluss, ein paar Läden, die fast die Bezeichnung Supermarkt verdienen, ein Café mit mittelmäßigem Cappuccino und gutem Eis.

In meiner großen, günstigen und eigentlich ganz schönen Unterkunft bin ich heute tatsächlich allein. Gestern war es noch schwierig, überhaupt etwas zu finden.

Villa Mañihuales – Cohaique

90 km (bis zur Unterkunft) , 1250 Hm

Ein richtig schöner, sonniger Tag! Morgens noch eiskalt, später beinahe heiß.

Die Taleinschnitte scheinen tiefer und schluchtartiger zu werden, ein Wasserfall jagt den nächsten. Sehr schön und sehr anstrengend, vor allem auch weil der längste Anstieg fast am Ende der Tour liegt und sich dann noch einer zur Unterkunft anschließt.

Über das heutige Ziel sagt der Reiseführer „a cow town that kept growing“.  Es gibt zwar eine Fußgängerzone mit Geschäften und Restaurants, aber kaum ein Gebäude mit mehr als zwei Stockwerken. Trotzdem ist Cohaique wohl der letzte Ort auf der Carretera, wo man Geld aus dem Automaten bekommt und etwas anderes als Lebensmittel einkaufen kann. Dann wird es noch einsamer auf der Straße als bisher.

Carretera Austral

Puerto Montt – Contao

56 km, 480 Hm

Das Fahrrad ist da, die Einkäufe erledigt, also geht es los. Die Strecke ist wunderbar asphaltiert, in der Stadt und auf den 20 km danach ist natürlich viel Verkehr. Ein paarmal werde ich dicht überholt, aber im großen und ganzen nehmen die Autofahrer Rücksicht.

Gegen Mittag kommt die erste Fährüberfahrt. Sehr unproblematisch, als ich ankomme werde ich nur kurz vor der Fähre angehalten, zahle umgerechnet 3 €, rolle aufs Schiff und los geht es. Es gibt hier generell viele Fähren, mag sein, dass man ein bisschen länger wartet als ich, aber allzu lange dürfte es praktisch nie dauern.

Nach der Fähre möchte ich einen Kaffee. Was für ein Reinfall! Ein Reiseführer behauptete, in Chile sei ein bisschen Kaffeekultur modern geworden. In diesem Café wäre ich schon für ein Glas Nescafé auf dem Tisch dankbar. Stattdessen: eine furchtbare Zuckerpampenmischung, garantiert kaffeefrei.

Aber was soll ich sagen, die Landschaft entschädigt schon jetzt.

Endlich los
Man ist hier stolz auf deutschen Kuchen

Contao – Hornopiren

Was ist eigentlich mit den Hunden hier los? – ich brauchte bisher in jeder einzelnen Nacht Ohrstöpsel, weil sie von Abends bis morgens bellen, gelegentlich jaulen, heulen, wieder bellen. In dieser Nacht kommt am sehr frühen Morgen ein Hahn hinzu.

Als ich aufstehe und langsam packe, fängt es – erwartet – an zu regnen. Ich packe das nasse Zelt ein und mache mich auf den Weg. Es geht bergauf und das Rad gibt komische Geräusche von sich, eine Ursache kann ich nicht finden. So keuche ich im Regen die Straße entlang, allerdings nicht lange. Dann hält ein kleiner Lieferwagen neben mir und fragt, ob er helfen kann. Ich kann nicht widerstehen und nicke. Das Rad wird in den Wagen geladen,  ab jetzt geht es schneller und trockener weiter. Der Fahrer ist unterwegs, um Brot auszuliefern. Entsprechend gibt es einen Umweg zu einer Kundin an der Küste.

Mich auf der Straße einzusammeln war ja sehr nett, der Fahrer macht aber etwas zu penetrante Versuche, mich zum Christentum zu bekehren. Ab und zu kurz ein anderes Thema, dann fängt er wieder an…

Außerdem hat er cabanas zu vermieten, relativ günstig, dafür weit vom Hafen entfernt. Ich bleibe dennoch.

Hornopiren

Hornopiren – Caleta Gonzales

Sowas wie 13 km – die Strecke zwischen zwei Fähren und die Strecke zum Anleger

Ab Hornopiren soll es mit einer längeren Fährüberfahrt weitergehen, zuerst dreieinhalb Stunden nach Leptepu, gefolgt von  etwa 10 km Straße, gefolgt von einer weiteren dreiviertel Stunde Fähre. Die Sache mit der Fähre ist: für Fahrzeuge ist sie zumeist ausgebucht. Ob ein Fahrrad ein Fahrzeug ist, weiß niemand, Fahrräder sind nicht vorgesehen. Der Online-Ticket-Kauf funktioniert auch nicht. Mir, wie vielen anderen Radfahrern, wird gesagt, dass ich um 8:30 am Anleger sein soll, , obwohl die Fähre erst um 10 fahren soll. Dann würde entschieden, ob es Fahrradtickets gibt. Oder ob der Kapitän hinterher entscheidet, wer mit darf. Falls ich mit darf ist das Ticket dafür billiger als für Passagiere ohne Rad. Das alles verstehe ich zwar nicht wirklich, bin aber kurz vor halb 9 morgens am Anleger. Nein, Tickets gibt es nicht und die Fähre fährt heute auch erst um 12:30 wird mir und zwei anderen Radfahrern mitgeteilt.

Am Ende ist es unproblematisch: kurz vor der Abfahrt (ja, 12:30) kommt eine Frau und sammelt Pässe ein. Dann rollen die inzwischen 10 Radfahrer aufs Schiff, während der Fahrt bezahlen wir und bekommen die Pässe zurück . Immerhin hatten wir Zeit, andere Radfahrer kennen zu lernen, hier mussten alle stundenlang warten.

Als wir nach der zweiten Fähre in Caleta Gonzalo, im Pumalin Nationalpark ankommen, ist es schon 19:30 und ich bleibe im Gegensatz zu allen anderen Radfahrern auf dem sehr hübschen Campingplatz in der Nähe des Anlegers.

Die Radfahrer*innen von der Fähre, natürlich im Regen

Caleta Gonzalo – Camping Volcan

Um die 30 km!

Die Entscheidung, abends nicht der Radfahrergruppe hinterher einen Campingplatz weiter zu fahren, war definitiv richtig, wenn es mir auch komisch vorkam, sie alle wegfahren zu sehen.

14 km klingen ja nicht nach viel, aber im Regen, auf Ripio (also unbefestigt), mit jeder Menge Steigungen wäre das schon eher Quälerei gewesen. Morgens, nach einer Nacht im Regen auf einem sehr schönen Campingplatz, ist es anstrengend genug.

Ich bin früh aufgestanden, alle anderen nicht, also treffe ich sie auf ihrem Campingplatz wieder und bekomme auch gleich einen Kaffee.

Dann mache ich mich auf den Weg hinauf zu einem Wasserfall. 40 Minuten Aufstieg, verspricht ein Schild am Beginn. Ich brauche eher länger, zwar ist das Wetter besser geworden, aber alles ist nass, man muss sehr aufpassen, nicht in die zahlreichen Wasserlöcher zu treten, während man über Holzbohlen balanciert. Natur und Wasserfall entschädigen aber definitiv.

Danach schaffe ich es gerade noch 15 anstrengende km weiter, bis zu einem Campingplatz mit Blick auf den Chaiten- Vulkan, der fröhlich vor sich hin qualmt.

Camping Volcan – Chaiten

31 km

Wie vom Wetterbericht versprochen: es regnet, der Himmel ist grau. Die Straße ist zunächst weiterhin nicht asphaltiert und ich wusste nicht, dass gerade mal 31 km und ein paar Höhenmeter so anstrengend sein können.

Schließlich komme ich in Chaiten an und suche mir eine feste, aber ziemlich einfache Unterkunft.  Immerhin gibt es sehr nette andere Gäste, mit denen wir abends noch länger zusammensitzen.

Als der Vulkan Chaiten 2008 ausbrach, war dieser Ort Hauptleidtragender: er musste komplett evakuiert werden, der gesamte Ort soll 15 cm hoch mit Asche bedeckt gewesen sein. Später sagt mir jemand, der Ort habe auch noch immer nicht ganz erholt.

Chaiten – Santa Lucia

78 km, 980 Hm

Ein langer Tag, ich bin leider sehr langsam. Es geht auf und ab und auf und ab bis am Ende ein langer Anstieg folgt.

Das bemerkenswerteste auf der Strecke vielleicht ist die Ruine eines Transportflugzeug bei einem Café-Stand, den eine junge Britin betreibt. Sie verkauft mir Kaffee und Kuchen und erzählt, was es mit dem Flugzeug auf sich hat: Es handelt sich um ein ehemaliges US-Militärflugzeug, das nach dem zweiten Weltkrieg mit anderen zusammen an Chile verkauft wurde. Es wurde dann dazu genutzt, den Süden des Landes zu kartieren,  um über den Verlauf der Carretera Austral zu entscheiden. Irgendwann in den 60er Jahren dann musste das Flugzeug notlanden, 6 km von dem Ort entfernt, an dem es jetzt liegt. Ein Paar bat ein paar  Jahre später um die Erlaubnis, den Flugzeugrumpf nutzen zu dürfen. Jahrelang wohnten die beiden in dem Rumpf. Danach verfielen die Reste, bis eben jene Britin das Flugzeug mit ihrem Mann übernahm, mit der Absicht, es zum Museum auszubauen.

Die Gegend scheint insgesamt übrigens nicht ganz ungefährlich zu sein. Nachdem der letzte Ort, in dem ich war – Chaiten – 2008 von einem Vulkan zerstört wurde, traf Santa Lucia im Jahr 2017 eine schwere Flut mit Erdrutschen.

Santa Lucia – La Junta

69 km, 608 Hm

Die vielen Höhenmeter kommen hier. Vor allem dadurch zustande, dass ich ständig auf und ab geht, und zwar ziemlich steil. Ab und zu gibt es eine größere Steigung, die meisten sind aber nicht besonders lang. Auf die Oberschenkelmuskeln gehen sie trotzdem ganz schön.

Ich komme am späten Nachmittag in La Junta an und suche mir eine einfache Unterkunft.

La Junta – Puyuhuapi

45 km, 435 Hm

Die Strecke heute ist nicht eben lang, auch die Qualität ist sehr gut. Es geht aber wieder auf und ab und auf und ab, obwohl die straße die meiste Zeit an einem See entlang führt. Ich brauche eine Pause. Also miete ich mich dieses Mal in einem richtigen Hotel ein, bekomme ein großes, sauberes Zimmer mit Bad und Frühstück und bleibe dort für zwei Tage.

Puyuhuapi

Puyuhuapi ist ein Dorf mit ziemlich. Vielen Unterkünften, eine Reihe von Campingplätzen am Meer und einigen kleinen Supermärkten. In einer halben Stunde kennt man alles.

Eigentlich möchte ich heute zum Queulat Nationalpark fahren und zum berühmten hängenden Gletscher wandern oder vielleicht eine Bootsfahrt machen. Das klappt leider nicht, weil die Tickets für den Nationalpark ausverkauft sind. Und montags, also morgen ist der Park gleich ganz geschlossen.

Berlin-Madrid-Puerto Montt und mehr Puerto Montt

Bevor ich losfahren kann auf der Carretera Austral, muss ich erst einmal hinkommen, nach Puerto Montt in Chile. In Madrid habe ich nur eine Stunde, um umzusteigen, und natürlich sitze ich im ausgebuchten Flugzeug relativ weit hinten. Nachdem alle eingestiegen sind, wird festgestellt, dass ein Passagier fehlt, also müssen irgendwelche Koffer wieder ausgeladen werden. Immerhin wird vor der Landung  durchgegeben, man möge Leute mit Anschlussflug doch bitte zuerst aussteigen zu lassen. Macht natürlich keiner. Ich setze meine Ellenbogen ein und beginne den Sprint zum anderen Terminal. Es stellt sich heraus, dass es eher ein Langstreckenlauf ist, inklusive einer Fahrt mit einem Shuttle. Trotzdem reicht es, verschwitzt und außer Atem erwische ich den Flug.

Kurz vor der nächsten Landung in Santiago wird durchgesagt, dass Menschen mit nationalem Anschlussflug ihr Gepäck abholen und wieder aufgeben müssen. Im Gegensatz zu allen anderen Ansagen übrigens nur auf Spanisch. Mist, das wird knapp denke ich mir noch, als ich noch nicht weiß, dass ich eine Stunde vergeblich auf mein Fahrrad warten werde. Eine weitere dreiviertelstunde warte ich am Schalter, um die Meldung für das vermisste Fahrrad aufzugeben. Als ich endlich dran bin, sagt man mir, dass ich die Meldung erst in Puerto Montt machen kann, wenn ich mein Rad dorthin transportiert haben will. Natürlich ist zwischenzeitlich mein Anschlussflug weg. Man schickt mich quer über den Flughafen zu einem nicht existierenden Büro der Fluggesellschaft, um umzubuchen. Am Schalter wiederum sagt man mir, dass sie nicht für Umbuchungen zuständig sind. Ich bekomme einen Wutanfall. Und dann geht es doch mit dem Umbuchen. Eine Mitarbeiterin begleitet mich auch gleich zum self Check-in, druckt mir die Bordkarte aus und zeigt mir den Weg für den nächsten Sprint. Für den nächsten Flug ist es nämlich auch schon ganz schön knapp.

Danach sitze ich in Puerto Montt und warte auf das Fahrrad. In der Zwischenzeit kaufe ich Gas für den Campingkocher – kein Problem, ein Outdoor-Shop jagt hier den nächsten – und versuche eine e-sim zu bekommen. Geht leider nicht. Offenbar gibt es e-sims hier nur mit Vertrag und den nur für  Leute mit Meldeadresse in Chile. Ein neuer Wutanfall hilft nicht. Ich muss meine deutsche SIM-Karte herausnehmen, um eine chilenische nutzen zu können und die nächsten Wochen wohl einfach gut auf sie aufpassen.

Immerhin gutes Wetter und frischer Fisch in Puerto Montt

Einen Tag später warte ich noch immer. Zweimal wird mir am Telefon gesagt, dass das Rad schon am Flughafen in Puerto Montt ist, dann kommt ein Anruf, dass es doch noch in Santiago im Zoll hängt. Die wollen Steuern, weil sie davon ausgehen, dass ich das Rad nicht wieder mit nach Hause nehmen, schlimmer aber: eine notariell beglaubigte Erklärung, dass die Fluggesellschaft den Fall übernehmen darf. Ich schicke erstmal ganz viele Nachrichten und Erklärungen und erkundige mich außerdem nach einem Leihrad.

Ausstellung statt Radtour
Denkmal für deutsche Einwanderer

Spät abends endlich die Nachricht, dass der Zoll das Rad freigelassen hat. Es dauert noch bis zum Mittag des nächsten Tages, dann wird es endlich zum Hotel geliefert. Also ich den Karton sehe, erschrecke ich erst einmal, er ist völlig zerrissen. Das Fahrrad scheint glücklicherweise trotzdem heil zu sein. Morgen kann es also losgehen.

Heute mache ich aber nachdem ich den Kopf frei habe, um an etwas anderes als das Fahrrad zu denken, einen kleinen Ausflug mit dem Bus nach Puerto Varas: eine hübsche, wenn auch ziemlich touristische Stadt am Ufer des Llanquihue-Sees und mit Blick auf den Osorno-Vulkan. Außer diese Sehenswürdigkeiten hat die Stadt die Besonderheit, von deutschen Siedlern gegründet worden zu sein, schon im 19. Jahrhundert. Es wimmelt nur so von deutschen Namen, deutschem Kuchen, deutschem Bier. Dass ein Kleinbus als Ziel seiner ausgerechnet „Braunau“ auf der Windschutzscheibe stehen hat, wirkt dann doch etwas merkwürdig.

Ukraine 2024

Reise ohne Fahrrad

Ich verbringe praktisch täglich meine Zeit virtuell in der Ukraine: ich arbeite mit Ukraine, ich lerne ukrainisch, ich verfolge Nachrichten. Seit Beginn der großangelegten Invasion war ich mehrfach in Kiew, habe mir Reisen durchs Land, aber gespart. Das wird zum ersten mal anders. Zumindest im westlichen Teil des Landes werde ich ein bisschen reisen. Los geht es mit einer langen Busfahrt: ungefähr 20 Stunden von Berlin über Warschau nach Iwano-Frankiwsk. Der Flixbus ist nicht voll, es ist gerade keine Haupt-Reisezeit, ich habe zwei Sätze nebeneinander und kann zumindest ein bisschen schlafen, bevor ich um 6 Uhr morgens in Warschau in einen anderen Bus wechsle. Auch der ist nicht voll und fährt zügig zur Grenze. Es gibt Zeiten – im Sommer oder um Weihnachten, in denen Busse beinahe den ganzen Tag auf ihre Abfertigung warteten, aber gerade jetzt ist nicht viel los und es geht schnell. Allerdings reduziert sich hinter der Grenze die Reisegeschwindigkeit. Autobahnen werden von deutlich kleineren Straßen abgelöst, ab und zu gibt es eine Baustelle oder einen anderen Grund für einen Stau. Außerdem müssen wir nach Liv hinein und wieder heraus. Gegen 20:30 Uhr, immerhin fast eine Stunde vor der planmäßigen. Ankunft, sind wir da. Ich war so fest davon ausgegangen, dass wir am Bahnhof ankommen, dass ich das nicht einmal überprüft habe. Und klar, wir kommen außerhalb der Stadt an. Kein Problem, es gibt einen Bus, der mich ohne umsteigen zu meiner Unterkunft bringt.

Iwano-Frankiwsk

Am nächsten Morgen dann ein Spaziergang durch die Stadt. In der Fußgängerzone begrüßen mich große Stellwände mit all den im Krieg schon gefallenen Soldaten, eine endlose Reihe, die sich auch noch in eine Nebenstraße zieht. Viele Blumen liegen vor den Bildern. Die Menschen gehen achtlos daran vorbei, die Gefechte sind zwar nicht nah, aber auch hier ist der Krieg Alltag.

Ich schlenderte durch die Stadt, sehe das sternförmige Rathaus und den parkähnlichen Platz davor. Aus einem Lautsprecher tönt die Werbung einer Anwaltskanzlei, die auf Mobilisierungsfragen spezialisiert ist.

Vor der Synagoge spricht mich eine Frau an und zeigt mir einige weitere wichtige Gebäude. Schließlich umrunden ich den örtlichen Potocki- Palast und gehe schließlich durch das restaurierte Eingangstor aufs Gelände. Der Platz wirkt unfertig. Ein paar Kunstgegenstände, Pavillons mit gestapelten. Stühlen, Erdhaufen, anscheinend wird zwischen den Objekten gebaut. Vor mir ein Gebäude, auf dem „Museum“ steht. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das Haus geöffnet ist, probiere aber dennoch die Klinke. Überraschenderweise befinde ich mich in einem sehr modernen interaktiven Museum zur lokalen (Militär)geschichte. Ich bin die einzige Besucherin, kaufe ein Ticket (nein, nicht ermäßigt, ich bin noch keine Rentnerin und keine Studentin mehr), dann werden mir ausführlich das Museum und die interaktiven Bildschirme erklärt.

Dnister

Am Morgen treffe ich mich mit einer Autovermieterin und bekomme für einige Tage einen Mietwagen. Der Vertrag dafür wird im Auto unterschrieben – ja, ein Büro in der Stadt war geplant, und es gab eins auf dem Flughafen, aber das erste lohnt sich zurzeit nicht, das zweite ergibt ohne Flugzeuge gar keinen Sinn mehr. Die Autovermietung funktioniert trotzdem, nur eben mobil.

Nächste Station ist ein Campingplatz am Dnistr. Ein Zelt habe ich nicht dabei, aber es gibt Bungalows zum mieten, offiziell für bis zu fünf Personen, aber ich glaube, gemütlich ist es nur zu zweit. Ich bin allein in meinem Bungalow und allein auf dem ganzen Platz. Die Sonne scheint, die Blätter der Weinranken um den Bungalow sind herbstlich verfärbt. Ein Plakat erklärt die Regeln, Ruhezeiten, Rücksichtnahme und: Viele Freunde verteidigen das Land, nicht alle sind zurückgekommen. Also: keine russische Musik und keine Zweifel, wem die Krim nun gehört! Ansonsten ist der Krieg hier sehr weit weg. Die App auf dem Handy informiert über Luftalarm, falls der landesweit ausgerufen wird, aber ansonsten ist es sehr friedlich hier.

Im Sommer ist sicher einiges los, es gibt auch einen Swimmingpool und in einem herumliegenden Prospekt werden alle allerlei Touren angeboten, aber es ist jetzt bereits gegen Ende Oktober, kurz vor der Winterschließung. Auf dem Platz kann man Fahrräder leihen oder Kanus, um den Dnister entlang zu fahren. Sicher sehr schön, aber mir scheint es ein bisschen zu kalt, zumal ich kaum glaube, dass man es trocknen Fußes in so einem Boot schaffen kann. Also gibt es längere Spaziergänge am Ufer des Flusses entlang. Zunächst ist der Weg breit, offenbar genutzt von landwirtschaftlichen Fahrzeugen. Ab und zu steht eine Kuh im Weg. Dann wird der Weg zu einem sehr schmalen Trampelpfad, manchmal kaum sichtbar. Bis dann Wegweiser auftauchen. Das soll tatsächlich ein Radweg sein. In einer weiten Schleife komme ich zurück zum Ort und suche noch das Lebensmittelgeschäft, etwas originelleres als instant Nudeln gibt es an diesem Abend nicht.

Kam’yanets-Podilskyi

Ich überlege lange, noch etwas länger am Dnister bleiben, es ist wirklich schön. Aber es ist auch schon recht kalt für Camping, nachts unter 0°C, und so mache ich mich auf den Weg. Mit dem gemieteten Auto bin brauche ich ziemlich lange für die etwa 135 km nach Kam’yanets-Podilskyi, wo ich eine schöne, große Ferienwohnung miete – etwa zum gleichen Preis wie die Hütte auf dem Campingplatz. Autofahren hat übrigens einen Vor- und einen Nachteil: man ist ziemlich allein auf den kleineren Straßen, keine Staus, keine nervenden Autofahrer, nichts. Der Nachteil: die Qualität der Straßen ist oft wirklich schlecht. Ständig frage ich mich, ob die Bodenwellen noch niedrig genug sind, dass ich mit dem Auto einfach drüberfahren kann und habe Angst, mir an tiefen Schlaglöchern die Reifen kaputt zu machen. Es gibt auch sehr gut asphaltierte Strecken, aber die enden eben dann auch schnell wieder. Für Kam’yanets-Podilskyi selbst hat mich meine Vermieterin schon vorgewarnt – die kürzeste Strecke führt zwar durch die wunderschöne Altstadt, ist aber teilweise wirklich miserabel.

Kam’yanets-Podilskyi ist eine alte Festungsstadt, eine sehr beeindruckende Burg, einige alte Kirchen, gleich mehrere unabhängige Festungstürme. Jetzt, mitten im Krieg, ist das ein bisschen überraschend, aber: der Tourismus tobt hier. Die meisten Leute scheinen in Gruppen unterwegs zu sein, ich treffe gleich auf mehrere große Reisegruppen voller Frauen. Ganz wenige Männer sind dabei. Möglicherweise haben Männer nach wie vor Angst, bei Reisen unterwegs Einberufungsbescheide ausgehändigt zu bekommen, jedenfalls ist der Frauenüberschuss auffällig. Im Prinzip gibt es in der Ukraine ein Meldewesen, so ähnlich wie in Deutschland, tatsächlich melden sich viele Leute nicht um, wenn sie umziehen. Die Folge: die Einberufungsbehörden wussten zunächst schlicht nicht, wo die Leute wohnen, um Einberufungen zuzustellen. so wurde teilweise auf der Straße, besonders zwischen Städten kontrolliert. Und entsprechend überlegten Männer es sich oft zwei bis dreimal, bevor sie auf einer Reise gehen. Mittlerweile sollten eigentlich alle Daten erneuert sein, aber vermutlich man ist wohl noch immer vorsichtig.

Zurück zur Stadt: als ich es zu Fuß zur Burg schaffe, ist die Kasse für Besichtigungen schon geschlossen. Ein Wärter steht aber am Eingang und scheint sich zunächst ein paar Hrywnja verdienen zu wollen, indem er mich für Geld, er betont: billiger, als die eigentlich Eintrittskarte, hereinlässt. Ich wehre mich nicht dagegen, habe aber nicht den  gewünschten Betrag. Also lässt er mich eben so in die Anlage. Man kann über extrem steile Treppen auf alte Türme steigen, die alte Burgmauer abgehen, kommt ab und zu an Stellen mit schöner Aussicht. Unten in den Gebäuden der Burg gibt es einzelne Werkstätten und Läden oder auch kleine nachgestellte Szenen. Ein alter Brunnen ist da und eine wohl teilweise originale Tretmühle, mit der einmal Wasser nach oben befördert wurde. Nachdem ich übrigens auf dem Gelände bin, lässt mich der Wärter kaum wieder gehen, jedes Mal, wenn ich mich dem Ausgang zuwende, zeigt er in irgendeine Richtung, damit ich mir dort noch irgendetwas ansehe.

Optimistische Höhle

Mein nächstes Ziel sind Höhlen in Podolien. Es gibt im Oblast Ternopil riesige labyrinthartige Höhlensysteme und die längste davon möchte ich mir ansehen. Dazu meldet man sich beim örtlichen speleologischen Verein an, übernachtet entweder für wenig Geld in der hauseigenen Jugendherberge oder in einem Hotel zwei Orte weiter, erhält einen Overall, Helm, Gummistiefel und Stirnlampe und zieht mit einer Speleologin/einem Speleologen los. Die Höhle ist nicht beleuchtet, nicht ausgebaut (lediglich Lehm wurde wo nötig abgegraben) und die Durchgänge sind oft schmal, niedrig oder beides: oft kann man sich nur seitlich durch Gänge zwängen, manchmal muss man auf allen Vieren krabbeln, manchmal bekommt man dabei die Knie nicht aneinander vorbei. Zu sehen gibt es unterschiedliche Arten von Gipskristallen, kleinere Kalkformen und – ja – im Anfangsbereich der Höhle Lehmskulpturen.

Sieben Stunden gehen und kriechen meine Führerin und ich durch das Höhlensystem – und dabei sind wir wohl nicht langsam: wir sind nur zu zweit und müssen entsprechend auf niemanden warten, außerdem sind wir beide relativ klein, definitiv ein Vorteil in dieser Höhle. Am Ende bin ich jedenfalls ziemlich geschafft, nach der Tour tue ich praktisch nichts mehr.

Aber für die Höhle auf jeden Fall eine Empfehlung!

Uman

Oman erreiche ich mit dem Nachtbus von Iwano-Frankiwsk, nachdem ich dort meinen Mietwagen zurückgegeben habe. Der Bus ist ausgebucht, aber immerhin leidlich bequem, zumindest ein bisschen kann ich schlafen. Morgens um 6:30 Uhr bin ich da. Die Stadt ist bekannt für zwei Dinge: einen  Landschaftspark, den im 19. Jahrhundert ein Graf Potocki für seine Frau angelegt hat und das Grab des Rabbi Nachman, zu dem jedes Jahr Zehntausende chassisische Juden aus aller Welt pilgern. Es ist früh, mein Zimmer ist noch nicht fertig, dafür ist das Wetter super, blauer Himmel, Sonne. Also los, in den Landschaftspark (Sofiivskiy). Um dorthin zu kommen, muss ich lediglich einen neuen Dinosaurier- Park umgehen, der leider gerade geschlossen ist, sonst wäre mein Weg kürzer. Der Park selbst zeigt sich von seiner schönsten Seite, die Blätter der Bäume bunt gefärbt, der Himmel blau, künstlicher Wasserfall, Felsen, Seen romantisch, Wege und Pfade verschlungen.

Von meinem Hotel aus in der anderen Richtung, aber sehr nah liegt das Grab des Rabbi Nachman. Jedes Jahr zu Rosh Hoshanna wird genau dieses Grab zum Ziel von zehntausenden von chassisische Pilgern, die die Stadt für ein paar Tage in eine riesige Party verwandeln und die Hotelpreise in unvorstellbare Höhen treiben. Als ich da bin, ist Rosh Hoshanna seit mehreren Wochen vorbei, die Preise sind wieder normal, die Stadt nicht mehr überfüllt.

Auch ich mache einen halbherzigen Versuch, das Grab zu besuchen. Die Aufschrift „Eingang für Frauen“ kann ich lesen, sie steht auf einem Schild in hebräischer und ukrainischer Sprache. Dann kommt erst einmal ein Gang zwischen Sperrholzplatten entlang, dann weiß ich nicht mehr weiter. Zum einen sind auch wieder Männer unterwegs (aber keine anderen Frauen), zum anderen scheinen große Tafeln nun Verhaltensregeln zu enthalten, nun aber nur noch auf Hebräisch. Nun ja, vielleicht muss ich dann doch nicht anderen Leuten beim Beten an einem Grab zusehen?, denke ich mir, leicht eingeschüchtert und gehe wieder.

Sehenswert ist insgesamt aber nicht nur das Grab selbst, sondern das ganze Viertel: an allen Läden, Imbisständen, Hotels dominieren hebräische Aufschriften, zahlreiche Männer mit Kippa sind zu sehen, auch einige offenbar jüdisch orthodoxe Familien.

Kyiv

Kyiv empfängt mich mit dem gleichen Sonnenschein wie die anderen Orte zuvor, leider wird das Wetter aber bald schlechter- man kann nicht ewig Glück haben.

Wie immer habe ich eine kleine Wohnung gemietet, wie immer direkt im Zentrum – ich möchte gern nah bei meinen Lieblingsparks unterkommen. Und: kurzer Weg zur Metro, die der sicherste Schutzraum ist, kein oberes Stockwerk und in diesem spezifischen Fall ein fensterloses Zimmer mit Sofa – unter normalen Umständen doof, während andauernder Drohnenangriffe schützen die zwei Wände aber mindestens vor Glassplittern. Gut.

Die nächsten Tage sind voll mit Aktivitäten:

Ich treffe Kollegen, die gerade zu viel zu tun haben, ich besuche eine Veranstaltung in einer Buchhandlung. Thema ist Horror – nicht unbedingt mein Genre, aber das ist eben, was gerade stattfindet. Es wird darüber diskutiert, wie der Krieg vorkommen kann (noch nicht), und darüber, dass es ganz schön schwierig ist, Leuten, die so viel Schreckliches erlebt haben, noch Angst zu machen.

An einem Nachmittag treffe ich mich mit einer Bekannten in Hostomel – einem der Vororte Kyivs, die zu Anfang des Krieges von Orks besetzt waren. Im Sommer 2022 war ich schon einmal hier, überall war da noch Zerstörung – ein Haus heil, das daneben durch Artillerie komplett zerstört, ein Glücksspiel. Jetzt ist von der Zerstörung nur noch relativ wenig zu sehen, die Brücke über den Irpen-Fluss ist erneuert, die meisten Schäden sind behoben. Wir spazieren durch Bucha, das als Ort von Massakern Berühmtheit erlangt hat. Heute sind hier praktisch alle Zerstörungen beseitigt. Es ist, als sei nie etwas gewesen. Macdonalds hat geöffnet (bedeutungslos für mich, im Ukrainischen Bewusstsein scheint die Fastfood-Kette aber immer noch einen Rest Besonderheit behalten zu haben) und viel besser: auch das sehr gute Fischrestaurant Чорноморка ist geöffnet und gut besucht (auch hier: Empfehlung!).

In Kyiv selbst nehme ich an einer Untergrund-Führung teil – wir gehen mit einer kleinen Gruppe durch den unterirdischen Kanal, in den drei Bäche verlegt wurden, einer davon, der Khreshatik, bereits 1840. Bei der Führung selbst allerdings wird zur Geschichte nur wenig gesagt. Während wir in geliehenen Wathosen durch die Bäche waten bekommen wir Spinnen, die hier unten leben gezeigt, zahlreiche Zuflüsse von den Straßen über uns und Betonblöcke, die nach Starkregenereignissen im Kanal verschoben wurden. Wenn auf der Straße über uns Fahrzeuge über Kanaldeckel fahren, führt das zu irrsinnigem Getöse – beim ersten Mal schaue ich schnell auf dem Handy nach, ob nicht doch Luftalarm ist. Unser junger Führer beteuert auf jeden Fall, dass die Spaziergänge sicher seien, trotz der Gedenktafel für einige Jugendliche, die hier nach einem Starkregen ums Leben gekommen sind. Sie sagen im Zweifel die Führungen ab. (Meine Meinung: selber mitdenken schadet nicht.)

Tja und dann habe ich zum ersten Mal in meinem langjährigen Arbeitsleben Bildungsurlaub. Endlich, endlich gibt es einen für mein Bundesland zugelassenen Kurs, in Kyiv oder online. Fünf Tage Ukrainisch-Kurs, 6 Stunden am Tag, Einzelunterricht – zwischendurch wird jeweils nur die Lehrerin ausgewechselt. Überraschenderweise sind die Lehrerinnen eher in meinem eigenen Alter, die Unterrichtsmethoden sind aber durchaus modern. Sie erzählen mir, dass sie Schüler haben, wenn auch nicht sehr viele, inzwischen sind viele internationale Organisationen und Botschaften wieder vor Ort. Wer noch fehlt, sind internationale Studenten, deshalb gibt es derzeit auch praktisch nur Einzelunterricht und nur online-Kurse. Ich bin die Ausnahme.

Meine Lehrerinnen waren beide längere Zeiträume im Ausland, nachdem der Krieg begann, eine in Georgien, die andere in Polen und sie sind auch noch nicht überzeugt, dass sie bleiben werden – niemand weiß momentan, wie der kommende Winter wird. Und da ist in einem Fall immerhin die vierjährige Enkelin, die nun mit täglichen Drohnenangriffen leben muss.

So ist es zurzeit: bei mehreren Besuchen in Kyiv hatte ich viel Glück und hatte tagelang Ruhe von Luftalarmen. Dieses Mal nicht. Jede einzelne Nacht schicken die Russen fast 100 Shahed-Drohnen, gelegentlich auch Raketen. Wobei befürchtet wird, dass sie diese gerade für den Winter aufsparen – wenn dann nach Strom und Heizungen ausfallen, weil die Energieinfrastruktur zerstört wird, können sie viel mehr Schaden anrichten als jetzt, wo es noch nicht ganz so kalt ist.

Pamir-Highway – das Wichtigste

Quelle: OpenStreetMap
Quelle: OpenStreetMap

Highlights

Highlight ist natürlich die Landschaft und immer wieder die Landschaft. Und dann die Gastfreundschaft, der man immer wieder begegnet.

Was die Landschaft betrifft: der Blick über den Nurek-Staudamm, die engen Täler am Panj, der Wakhan Korridor mit grünen Oasen am Fluss (wobei das Gras auf der afghanischen Seite immer grüner ist..), die menschenleere Mondlandschaft auf den Hochebenen, der Kara’Kul, die Grünen Täler in Kirgisistan…

Und ständig gibt es Einladungen zum Tee, zum Essen – die meisten davon muss man zwangsläufig ablehnen. Selbst in Geschäften durfte ich öfter meine (kleinen) Einkäufe nicht bezahlen, das frisch gebackene, noch heiße Brot, das Wasser, Obst.. Es ist nicht so, dass es hier keine Touristen gibt, aber in den Dörfern sind es im Sommer nur sehr wenige, die jeden Tag durchkommen. Und so stehen dann überall Kinder am Straßenrand und halten ihre Hände zum Abklatschen hin.

Wie sportlich muss man sein?

Es braucht keine Leistungssportler für die Strecke – aber praktisch wäre es schon. Ich selbst bin 56 Jahre alt, 1,60 klein, weiblich und habe eher ein mittleres Fitnesslevel. Ich bin ein paar Strecken aus verschiedenen Gründen mit LKWs getrampt, aber im großen und ganzen habe ich die Strecke schon geschafft. Anstrengend war es aber. Geschoben habe ich gelegentlich auch.

Man sieht sich so eine Strecke ja vorher an, rechnet vielleicht Kilometer und Höhenmeter zusammen und kommt zu dem Schluss, dass die zu schaffen sind. Die echten Feinde sind aber die Straßenqualität und der Wind, der im Hochgebirge immer ab Mittag weht. Das Glück, dass er genau von hinten kommt, hat man selten. Für die Nicht-Leistungssportler: wenn ich außerhalb der ganz einsamen Strecken vorsichtig meine Hand rausgehalten habe, hielt immer das nächste Fahrzeug an und lud mein Fahrrad auf.

Straßen

Nun ja. Die Strecke, die ich gefahren bin, beginnt mit einem längeren Stück auf gutem Asphalt, wenn auch mit einigen Höhenmetern. Ab Kalai Khumb ist es damit dann vorbei. Auf den folgenden 180 km wird die Straße ausgebaut (2024, aber das dürfte sich in den nächsten Jahren kaum ändern), die Straße ist offiziell fast den ganzen Tag gesperrt, tatsächlich ist es Glückssache, wann man doch durchgelassen wird. Wenn man dann fahren darf, sind da riesige Staubwolken, weil die Straße nicht befestigt ist, und die LKW eben gleichzeitig fahren dürfen. Nach den Baustellen lässt die Staubkonzentration in der Luft nach, es gibt auch mal asphaltierte Abschnitte. Die sollte man genießen, sie sind kurz und werden von viel Wellblech und großsteinigem Schotter abgelöst.

Allein? – Sicherheit

Kurz gefasst: so lange Menschen in der Nähe sind, kein Problem. In allen Dörfern und Städten habe ich mich immer sehr sicher gefühlt. Sollte man mal Hilfe brauchen, bekommt man sie sofort.

Etwas schwieriger fand ich es dort, wo man eben keine Menschen trifft. Zwischen dem Wakhan-Korridor und Murgab und auch danach bis nach Kirgisistan ist es schon sehr einsam. Praktisch kein einheimischer Verkehr, vielleicht alle paar Stunden mal ein Jeep mit Touristen, dafür dieser Sturm – da wäre mir Begleitung schon lieber gewesen und einen Teil der Strecke bin ich auch aufs ein Auto ausgewichen.

Einheimische erzählen auch gern von Wölfen und Bären (die es gibt), aber dass die Probleme machen, scheint sehr unwahrscheinlich zu sein.

Krankheiten

Ich bin verschont geblieben, aber viele Touristen erwischt der übliche Magen-Darm-Infekt. Keine Ahnung, wie man das vermeiden kann, gut ist es sicher, in den ersten paar Tagen vorsichtig zu sein, bis man die Klima-, Zeit- und Nahrungsumstellung hinter sich hat. Danach habe ich im Grunde alles gegessen, was mir vorgesetzt wurde.

Einheimische sagen immer wieder und eigentlich überall, dass man das Wasser aus Wasserhähnen am Straßenrand/aus kleinen Bächen/ überall ohne weiteres trinken kann. Touristen filtern meist trotzdem (ich auch). Aber man findet fast überall klares Süßwasser.

Verständigung

Russisch. Ja, es macht Sinn, ein paar Wörter in den Landessprachen zu wissen, aber mit Russisch kommt man gut klar, Englisch können nur wenige über ein paar Wörter hinaus. (Aber da Touristen ja doch ähnliche Dinge wollen, reichen die oft). Tadshikisch ist dem Persischen offenbar sehr ähnlich, Kirgisisch dem Türkischen.

Grenzen und Formalitäten

Tadschikistan

Viele Europäer können sich für 30 Tage visafrei in Tadschikistan aufhalten. Die Nachteile: nach spätestens 10 Werktagen muss man sich bei einer Behörde namens OVIR anmelden, wer durch das Wakhan-Tal möchte, braucht zusätzlich die GBAO (autonomes Gebiet Berg- Badakhshan)-Genehmigung, die man am einfachsten zusammen mit dem Visum bekommt. Für die Anmeldung vor Ort braucht man eine Bescheinigung des aktuellen Hotels, Zeit an einem bis zwei Werktagen und – nach Aussage von einigen Touristen – etwas Bestechungsgeld. Genauer: die Anmeldung und die Genehmigungen kosten zwar Geld, sind aber eigentlich billig, oft werden vor Ort höhere Preise genannt und wer die nicht zahlt, wartet sehr lange.

E-visa

Die eigentlich einfache Alternative ist das E-Visa (bis 60 Tage), das man online beantragen kann. Obwohl das keine offizielle Bedingung ist, bekommt man häufig (immer?) eine Rückfrage mit der Aufforderung, eine Reiseplanung und eine Einladung des Reiseveranstalters hochzuladen. Dann ist es Glückssache: manchmal genügt die Erklärung, dass und warum man keinen Reiseveranstalter nutzt, manchmal nicht. Bei mir reichte eine ungefähre Reiseplanung (also jpeg!), im anderen Fall gibt es Anbieter, die gegen Geld LOIs verschicken. Manchmal werden die Anträge auch abgelehnt, oder sie verschwinden in einem schwarzen Loch. In dem Fall kann man dennoch visafrei oder mit visa on arrival einreisen.

Kirgisische Grenze

Eine weitere Genehmigung braucht man für den Grenzübertritt am Kyzyl-Art-Pass. Diese Grenze ist für Einheimische gesperrt, für Touristen mit Genehmigung aber offen. Diese Genehmigung erhält man von einigen Kirgisischen Reiseagenturen über Whatsapp (yep!) gegen Bezahlung von ungefähr 15 € und Einsenden einer Passkopie . Ich habe meine Genehmigung über „Travel by silk Road/Destination Osh“, Tel.: +996776770090 bekommen, andere Optionen findet man hier . Die Unsicherheit war, dass ich keine Möglichkeit gefunden habe, das Geld zu überweisen – ich habe es mehrfach mit unterschiedlichen angegebenen Bankverbindungen versucht, das Geld kam jeweils nach einigen Tagen zurück. Letztlich wurde ich gebeten, das Geld vorbeizubringen, sobald ich in Osh bin. Außerdem bekam weder ich noch sonst irgend ein Tourist eine schriftliche Bestätigung für die Genehmigung: die Reiseagentur schickt schlicht die Information an die kirgisischen Behörden, dort wird man auf eine Liste für den Grenzübertritt gesetzt. Man hofft also, dass alles geklappt hat, nachdem man 20km steil bergab auf schlechter Straße durch Niemandsland gefahren ist. Man möchte hier definitiv nicht zurück!

Kirgisistan

Kirgisistan ist für Deutsche bis zu einem Aufenthalt von 60 Tagen visafrei und außer der Grenzübertrittsgenehmgung am Kyzyl Art Pass kenne ich auch keine weiteren Fallstricke.

Sim-cards

Sim-cards gibt es günstig in den sehr häufigen Geschäften der Anbieter. In beiden Ländern werden sie mit dem Pass und ggf. Visum registriert. Ich bin nicht sicher, ob dabei auch die Imei-Nummer registriert wird, ich konnte jedenfalls in Kirgisistan keine Sim kaufen, ohne sie direkt im Handy einzusetzen und das Handy aus der Hand zu geben.

Für Tajikistan scheint T-Cell als Anbieter am besten zu sein, aber es gibt auch Gegenden, in denen nur Megafon funktioniert. Gerüchteweise sind die Sims in Tadshikistan nur für Berg-Badakhshan freigeschaltet, wenn man beim Kauf die Genehmigung für die Region vorlegt. Im Zweifel lässt sich die Freischaltung auch später nachholen.

In Kirgisistan hatte ich Beeline und war zufrieden nach der langen Durststrecke ohne Netz in Tadshikistan. Gerüchte sagen, dass es bessere Anbieter gibt.

Etwas schwierig war es in Dushanbe, eine e-sim zu bekommen, der Wunsch führte bei der Verkäuferin fast zum Nervenzusammenbruch. In Sary-tash, einem Grenzdorf in Kirgisistan mit Sim-Verkauf im Tante-Emma-Laden war es unmöglich.

Am besten ist es vermutlich, sich E-Sims schon vorab zu besorgen, soweit man es schafft, zu bezahlen.

Pamir Teil 5: Sary Tash – Osh

49 km und ungefähr 45 mit Auto

Ups, ich habe es schon wieder getan. Ich fahre für morgens wie immer los. Das Wetter ist schlecht, ich habe kurz überlegt, noch zu bleiben, aber weder Sary -Tash noch meine Unterkunft gefallen mir wirklich. Also los, es regnet und es geht bergauf. Der Regen wird stärker. Ich kämpfe mich bis fast auf den ersten Pass hinauf, denke dabei an meine Erkältung und daran, dass das doch nun eigentlich nicht sein muss. Also hebe ich einmal wieder zögerlich eine Hand, als mehrere Transporter vorbeikommen. Einer davon hält sofort an. Der Transporter wirkt von außen leer. Entsprechend überrascht bin ich, als die Ladefläche geöffnet wird und dort schon ein Pferd liegt. Na, wunderbar, mein Fahrrad wird zu dem Pferd geladen, festgebunden und ich quetsche mich neben die beiden Männer, die bereits im Auto sitzen. Ich bekomme hier zusätzlich zum ersten Mal Kymyz zu probieren, vergorene Stutenmilch. Nach etwa 45 km müssen die beiden abbiegen, ich steige aus, schwinge mich wieder aufs Fahrrad, das Wetter ist mittlerweile etwas besser und einen weiteren Pass habe ich mir auch gespart. Entsprechend einfach fahren sich die restlichen Kilometer bis Gul’cha.

Gul’cha – Osh

85 km, 925 Hm rauf, 1461 runter

Der letzte Tag und der letzte Pass dieser Reise. Die zahlreichen Höhenmeter kommen geballt gleich am Anfang. Langsam fahre ich Meter für Meter nach oben. Es ist anstrengend, geht aber doch viel besser als in den ersten Tagen. Ungefähr fünf Kilometer vor dem Gipfel überholt mich der Franzose, den ich schon zwei Tage zuvor getroffen habe. Dann bin ich oben. Hier scheint ein echtes ausflugsziel zu sein: teehäuser, viele Stände mit lokalen Spezialitäten: käsebällchen und Kymyz, vergorene Pferdemilch. Man kann hier in Yurten essen, einkaufen, Fotos machen.

Ich kaufe pflichtbewußt einen halben Liter Kymyz, dann geht es wieder bergab, durchs Alay -Tal, das voll ist, mit Restaurants und Ausflüglern.

Irgendwann bin ich dann da, in Osh, wieder Großstadt, wieder nur ungefähr auf 1000 m Höhe. Es ist heiß, der schlechte Sprit sorgt für erstaunliche Abgaswolken hinter den meisten Autos und ich kämpfe mich durch den Stadtverkehr zu meinem Hotel. Immerhin, endlich wieder ein richtiges Bad, gutes Internet, zuverlässige Stromversorgung.

Osh

Osh ist die zweitgrößte Stadt Kirgisistans und so gibt es hier auch fast alles: einen großen (vor allem langen) Markt mit Obst und Gemüse, Kleidung, Hufeisen und Pferdehalftern, kleinen Restaurants und Souvenirs, Parks mit kunstvoll gepflanzten Blumen, einen Vergnügungspark mit altersschwachen Karussels, Museen, einen internationalen Flughafen. Außerdem steht mitten in der Stadt der Sulaiman-Too, ein geschichtsträchtiger Berg, der fast von überall zu sehen ist. Tatsächlich hat Osh als Siedlung eine mehr als 3000 jährige Geschichte, wie Ausgrabungen rund um den Sulaiman-Too zeigen. Außerhalb der Museen – ein Museum befindet sich in einer Höhle im Fels, das andere in der Nähe darunter – ist davon allerdings nicht viel zu erkennen. Und die Museen selbst sind zwar schön hergerichtet, aber sehr informativ sind sie nicht – im Höhlenmuseum am Berg gibt es so gut wie keine Informationen, die irgendeinen Hintergrund zu den Exponaten darstellen, im Regionalmuseum endlose Texte auf Kirgisisch und Russisch. In kann Russisch, aber für diese Texte fehlt mir trotzdem die Geduld.

Neben den Museen und dem Markt lohnt sich auch eine Stadtführung, buchen kann man die unter bestofosh.com, sofern 3 Leute dafür zusammenkommen (oder man mehr bezahlt).

Dann geht es an den Heimflug. Ich habe da Ticket einer türkischen Billigfluggesellschaft und ein in viel Plastikfolie gewickeltes Rad (Fahrradkartons sind in Osh nicht zu bekommen). Dass ich aber gefühlt zwei Stunden (real:1,5) mit Nahkampf verbringe, liegt am ortstypischen eigenwilligen Anstehverhalten – es gibt keine Warteschlangen. Wenn man dann eher klein ist, aber viel Gepäck dabei hat, ist es nicht ganz einfach, alle aus dem Weg zu drängeln, um dranzukommen. Frauen mit kleinen Kindern dürften es noch schlechter haben, sind das Chaos aber anscheinend gewohnt. Auch an der Passkontrolle werden noch einmal allseits Ellbogen ausgefahren, dann endlich bin ich im internationalen Teil des kleinen Flughafens und stelle auf Umwegen fest, dass der Flug 90 Minuten Verspätung hat. Zum Glück habe ich genug Zeit zum Umsteigen in Istanbul.

Pamir Teil 4: Murgab – Sary Tash

Murgab

Murgab ist ein größeres Dorf, das aus geduckten kleinen Häusern und dem berühmten Containermarkt besteht. Die Leninstatue am Dorfeingang habe ich nicht gesehen (war schon dunkel, als wir wohl daran vorbeifuhren), außerdem gibt es eine Art Platz mit so etwas wie einem Denkmal – wofür auch immer. Nichts, also gar nichts Attraktives auf den ersten Blick. Trotzdem bleibe ich drei ganze Nächte, um mich auszuruhen und an die Höhe zu gewöhnen, bevor es an den höchsten Pass der ganzen Reise geht, den Ak Baital.

Und siehe da, das Dorf wird sympatisch. Es ist ruhig hier, abgesehen von den Kindern, die einen auch hier überall mit einem lauten „Hello!“ begrüßen, es gibt da mehrere durchaus nette kleine Restaurants, auf dem Containermarkt geht es ruhiger zu als man meinen sollte, dennoch finden sich eine Menge Dinge, wenn man sucht. Ich beispielsweise kaufe mir ein komplett albernes dunkelblaues Shirt mit aufgestickten Perlen, weil ich dringend ein dünnes, langärmliges Oberteil brauche, um in der Sonne nicht komplett zu verbrennen.

Tworog-Herstellung
Eiscafé

Murgab – ein einzelnes Haus unterwegs

47 km, 400 Hm

Von Murgab bis Karakul sind es 135 km und dazwischen gibt es kein Dorf, kein Laden und auch sonst fast kein menschliches Leben – wenn da nicht Tonya wäre. Der Wirt meiner Unterkunft in Murgab sagt mir, dass es da nach etwa 50 km ein einzelnes bewohntes Haus gibt und dass dort bei Bedarf auch Straßenarbeiter unterkommen können. Ich solle doch dort übernachten, sagt er. Das bedeutet zwar ziemlich wenig Radfahren, ist aber keine schlechte Idee, weil ich in einer Höhe von 4000 m aufpassen möchte, nicht höhenkrank zu werden. Ich schleiche, dort angekommen, etwas ums Haus herum, bis ich entdeckt werde und sofort Tee angeboten bekomme.

Im Haus wohnt zurzeit die 60 jährige Tonya mit zwei ihrer 14 Enkel. Der Junge hütet den Tag über Schafe, das Mädchen melkt sie morgens, backt zwischendurch Brot und macht, was sonst so anfällt. Außerdem gibt es die verspieltesten Hunde der Welt, mehrere Esel und ein Katzenbaby. Was es nicht gibt, sind Annehmlichkeiten wie elektrischen Strom, fließendes Wasser oder gar Internet. Alle Bewohner sind auch nur über den Sommer hier oben, ansonsten leben sie in Murgab.

Ich jedenfalls werde auch zur Übernachtung eingeladen, Tonya schlägt zunächst vor, dass ich im Zimmer mit ihr und den Enkeln schlafe. Als ich lieber ins Zelt möchte – der Raum ist mir zu warm – zeigt sie mir weitere große, leer stehende Räume mit eigenem Eingang, in denen ich dann mein Innenzelt aufstelle. Das große Haus, sagt Tonya, haben Deutsche gebaut, sie sagt deutsche Kriegsgefangene, außerdem, dass das Haus sehr gut und stabil ist. Mir scheint das mit den Kriegsgefangenen nicht so viel Sinn zu ergeben, aber Moment, ist ja nicht so, dass das die einzigen Deutschen waren, die in Zentralasien gelandet sind. Auch durch Stalins Zwangsumsiedlungen wurden zahlreiche deutsche Dörfer aus Russland nach Zentralasien umgesiedelt. Vielleicht waren es diese Leute?

Tonya ist Kirgisin und erzählt, dass die Gegend immer von Kirgisen bewohnt war, dass es unter den jungen Leuten aber immer weniger werden – Kirgisen finden in Tadschikistan nur schwer Arbeit, manche haben Schwierigkeiten mit der tadschikischen Amtssprache, viele wandern  nach Kirgistan ab. Auch zwei ihrer Kinder leben dort. Und mit Grenzen, die derzeit nur für Touristen geöffnet sind, sind selbst Besuche ziemlich schwierig. Sie führen über Duschanbe nach Usbekistan und erst von dort nach Kirgistan.

Einzelnes Haus – Karakul

90 km, 767 Hm

Vor dem höchsten Pass meiner Radtour frühzeitig zu übernachten, war eine gute Idee. Nicht nur bin ich schon in einer Höhe von 4000 m reichlich kurzatmig, ich schlafe auch schlecht und habe nachts Kopfschmerzen. Und wie das so ist, wenn man nachts wachliegt, zweifle ich an meiner Fähigkeit, überhaupt über den 4655 m hohen Ak-Baital-Pass zu kommen. Also langsam, ganz langsam. Zum Glück ist der Anstieg sehr allmählich. Lediglich die letzten 3 km sind etwas steiler – und die schiebe ich.

Oben dann ist nichts, weder eine tolle Aussicht, noch ein großes Schild. Ich habe eine Reihe Videos gesehen, auf denen Radfahrer Höhenmesser in die Kamera halten, aber nicht einmal so etwas habe ich. Hintergrund für die fehlende Kennzeichnung ist anscheinend, dass der Name Ak-Baital kirgisisch ist und an seine Stelle ein tadschikische Name treten soll. Schilder weiter unten haben schon den neuen Namen.

Nachdem die Höhe geschafft ist, wird es nur wenig einfacher: bis ich am Abend endlich am traumhaft schöen See Karakul ankomme, machen mir die schlechte Straße und der immer gegen Mittag aufkommende starke Wind noch ganz schön zu schaffen.

Der See ist, wie gesagt, spektakulär. Das eine Dorf nach 135 km ist dagegen trostlos: kleine Häuschen, ein guter Teil verlassen, kein elektrischer Strom, kein fließendes Wasser, dafür eine Reihe von Gästehäusern, die mit viel Engagement versuchen, ihre Gäste ohne beides gut zu versorgen.

Karakul – Sary Tash

88 km + x Hm

Am Abend überlege ich noch, einen weiteren Tag in Karakul zu bleiben. Ich bin etwas erkältet und einigermaßen erschöpft. Aber ehrlich gesagt, ich sehne mich doch sehr nach etwas mehr Zivilisation. Also geht es morgens weiter.

Das Problem: vor mir liegen knapp 90 km Nichts. Kein Ort, kein Haus, kein Café, keine schattenspenden Bäume. Den ersten Pass schaffe ich ganz gut, dann geht es erst einmal wieder bergab. Unten wird es dann gruselig. Der tägliche Sturm setzt heute noch früher ein als sonst. Der Wind pustet extrem kräftig, vor mir steigt an zahlreichen Stellen Sand in die Luft. Es beginn, zu regnen. Und weit und breit niemand und nichts. Was soll ich sagen, als dann doch ein Auto neben mir hält und mich fragt ob ich mitfahren will, nicke ich. Es ist ein Taxifahrer, der im Niemandsland zwischen Tadschikistan und Kirgistan Touristen von seinem kirgisischen Kollegen übernehmen will. Und wo er ja doch sowieso fährt, nimmt er mich mit, hilft mir möglicherweise an der Grenze, ein bisschen und hofft auf gutes Trinkgeld. Mir spart die Aktion nicht sehr viele Kilometer, aber doch einige Höhenmeter.

Die Touristenübergabe ist nötig geworden, nachdem vor wenigen Jahren ein Grenzkonflikt zwischen Kirgistan und Tadschikistan ausbrach und seither weder kirgisische noch tadschikische Fahrer über die Grenze dürfen. Sie ist nur für Touristen nach vorheriger Genehmigung geöffnet. Also treffen sich regelmäßig Taxifahrer im Niemandsland, Touristen wechseln Autos und es geht weiter. Klar, dass sich die Taxifahrer das gut bezahlen lassen.

Der kirgisische Fahrer würde mich gegen entsprechende Bezahlung gern ebenfalls mitnehmen, aber nun fahre ich doch selbst weiter. Die Straße führt gut 20 km weit durch Niemandsland. Und was niemandem gehört, um das kümmert sich auch niemand. Die Straße ist teilweise in erbärmlichem Zustand. Mir gefällt sie besser, als der die Waschbrettoberfläche, die es häufig Wakhan-Tal gab, aber das liegt wohl daran, dass es relativ lange nicht stark geregnet hat. Nach einem Regen möchte ich durch diesen Schlamm nicht fahren.

Erstaunlicherweise verändert sich direkt nach dem Pass auch die Landschaft: während es in Tadschikistan, nur nackten Fels gab, wird es nun grün. Weit oben, vor allem viele Flechten, dann Gras, Weiden, Rinder- und Ziegenherden. Ja, auch im Niemandsland.

Auf die Einreise nach Kirgistan muss ich eine ganze Weile warten, weil ich in einer größere Reisegruppe von Motorradfahrern gerate. Dann geht es weiter. Zunächst ganz gut, dann wird der Sturm stärker und immer stärker und pustet mir irgendwann genau ins Gesicht. Ich komme kaum noch vorwärts und die Turbulenzen von vorbeifahrenden Autos (von denen es in Kirgistan wieder einige gibt) schieben mich mehrmals auf den Seitenstreifen. Ich bin schon sehr froh, als ich endlich in Sary-Tash ankomme, eine Unterkunft finde und auch gleich noch zu erbärmlich schlechtem Kurs Geld tauschen und eine SIM-Karte kaufen kann.

Karakul
Straße im Niemandsland

Pamir Teil 3: Wakhan-Korridor

Khorugh – Abch

78 km, laut Osmand 1183 Höhenmeter rauf und 883 wieder runter – es bleibt holprig

Trotz des ständigen Auf und Abs bewege ich mich insgesamt schneckenartig langsam nach oben, momentan bin ich auf 2440 m und es ist noch immer ganz schön heiß. Das bedeutet entweder kurze Strecken oder aber lange Mittagspausen und danach die Hoffnung, noch im Hellen irgendwo anzukommen. Heute letzteres. Mittags finde ich ein kleines Café/Laden mit Terrasse, wo ich mich stundenlang aufhalte. Es gibt Pirogi mit Kartoffelfüllung, Tee und Cola. Nach einer Weile kommt ein Paar dazu, das die Tour auf einem Tandem macht. Meine Güte, sind die schnell!

Am Abend immerhin treffe ich sie wieder in einem kleinen Hotel neben einer heißen Quelle. Dort gehen wir dann auch gemeinsam hin. Eine Mitarbeiterin des Hotels kommt kurzerhand mit. Es handelt sich um eine Quelle, die in einem Gebäude durch ein ziemlich unscheinbares Wasserbecken fließt, in dem schon ungefähr 10 splitterfasernackte Frauen sitzen. Davor gibt es lediglich einen Umkleideraum mit ein paar Haken an der Wand. Die Chance, meine super-schmutzigen Füße (ich radle bislang in Sandalen) vorher abzuwaschen, habe ich nicht. Zum Glück fließt das Wasser einigermaßen schnell durch das Becken. Entgegen meiner Befürchtung hat es auch eine angenehme Temperatur. Wenn man länger drin sitzt, wird es sogar ein bisschen kühl.

Abch – Qah-Qaha-Festung

41 km, 366 Hm

Nach dem langen Tag gestern wird der heutige deutlich kürzer. Nicht dass die Rumpelstrecke nicht trotzdem anstrengend wäre. Aber ich komme nach ausführlicher Frühstückspause gegen Mittag zu einer Unterkunft. Es ist das erste klassische Homestay auf meiner Reise. Es gibt einen Raum für Gäste, in dem Schlafmatten ausgelegt sind. Ein europäisches Bad ist gebaut, es funktioniert aber nicht, weil im Winter die Leitungen eingefroren sind. Stattdessen wird in einem riesigen Behälter Wasser heiss gemacht und mit einer Art Wasserhahn in einem kleinen Raum geduscht. Die Toilette hat eine Spülung. Das bedeutet, man hockt in einem kleinen Häuschen mit Afghanistan-Blick weit über einem kleinen Bach. Der Weg dorthin führt über Bretter, die auf alten Moskvich-Karossen liegen.

Afghanistan -Blick vom Klo
Dusche

Fast direkt neben meinem Homestay gibt es eine alte Festung. Sie steht eindrucksvoll auf einem hohen Felsen und soll aus dem vierten Jahrhundert stammen. Viele Details sind nicht zu erkennen, Informationen sind auch spärlich, aber es ist ein eindrucksvoller Ort.

Qah-Qaha-Festung- Bibi Fatima Hot spring

58 km, 880 Hm

Unterwegs freue ich mich über jedes bisschen der Strecke, das nicht aus großsteinigem Schotter oder Waschbrettpiste besteht. Oder wo es Schatten gibt. Dazwischen knallt die Sonne ganz schön. Am Ende muss ich mein Rad noch weit den Berg rauf in Richtung der örtlichen Festung und der Bibi Fatima Quelle schieben – selbst das erste Homestay auf dem Weg ist weit oben. Dann ruhe ich mich aus, bevor ich mich auf den Weg zur Quelle mache, die noch mehrere hundert Höhenmeter weiter oben liegt – der erste Ausflug in mehr als 3000 m Höhe. Zum Glück muss ich nicht ganz zu fuß gehen – unterwegs hält eine russische Reisegruppe an und nimmt mich mit.

Die Quelle ist dieses Mal zwar mit einem Gebäude umbaut, innen findet sich aber eine fast märchenhafte Felsengrotte, die den Ruf hat, die Fruchtbarkeit von Frauen zu erhöhen. Später sehe ich Bilder von der Männerseite, die ist deutlich weniger eindrucksvoll.

Das Wasser ist ziemlich heiß und als ich nach dem anstrengenden Tag herauskomme, bin ich plötzlich ganz schön geschafft. Zum Glück nimmt mich die Gruppe nach ein paar Fotos vor der Festung wieder mit hinunter zu meiner Unterkunft.

Bibi Fatima Hotsprings – Langar

43 km, 900 Hm bergauf

Die Waschbrettpiste hört nicht auf, zur Abwechslung gibt es an ein paar Stellen aber weichen Sand. Und ein kleines bisschen Asphalt.

Seit Tagen fragen mich Einheimische, wann ich denn wohl in Langar sei. Der Ort sieht auf der Karte nicht groß aus, hat aber mehrere Unterkünfte und ein Museum. Na, da sieht doch nach etwas Infrastruktur aus, denke ich mir und fahre ziemlich achtlos durch Wrang, einen Ort mit immerhin einem Lebensmittelgeschäft und einem Mobilfunkladen durch. Das bereue ich kurz danach. Ja, Langar ist flächenmäßig nicht klein. Aber es besteht aus weit voneinander entfernt stehenden Häusern, mein Anbieter jedenfalls hat keinerlei Internet, ein oder zwei Läden gibt es, sie haben aber absolut nichts was für mich interessant wäre – unter anderem gibt es keinen Kühlschrank im Laden und damit auch nichts Frisches und nur warme Cola. Ein paar Nudeln und Süßkram kann man kaufen, die habe ich aber schon dabei. Strom gibt es den größten Teil des Tages nicht. Meine Wirtin sagt, das liegt daran, dass Strommasten ausgetauscht würden, aber es scheint alles in allem ein ziemlich gewohnter Zustand zu sein. Trotzdem geben sich die Gastgeber viel Mühe damit, westlichen Touristen ein paar Annehmlichkeiten zur Verfügung zu stellen: eine richtige Dusche und westliche Toilette, Stühle und einen Tisch, Betten statt Schlafmatten (an die kann man sich gewöhnen, aber sie sind schon sehr dünn).

Langar – Murgab (mit Auto!)

Fast 250 km mit Taxi und LKW

Locals sagen, bis hierher war die Straße gut, ab jetzt wird sie sehr steil und schlecht und vor allem: einsam. Auf den nächsten 100 km gibt es keine Siedlungen, so gut wie keine Autos, keine Mobilfunkverbindung, im zweiten Teil auch kein Trinkwasser. Für eine Solo – Tour ist mir das alles ein bisschen viel. Außerdem taucht in Langar Nico auf, den ich schon in Bibi Fatima kennengelernt habe. Auch er ist auf der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit bis Murgab. Also treffen wir uns morgens um halb sieben an meiner Unterkunft. Zwei Stunden später ist noch kein Auto in unsere Richtung gefahren und wir beschließen, mit einem der möglichen „Taxis“ (jedes Auto ist ein Taxi!) zu verhandeln. Für um die 100 Euro für uns beide geht es los. Was wir nicht wissen: das Auto steht kurz vor dem Zusammenbruch. Nach den ersten paar Kilometern der erste Stopp. Das Auto verliert Kühlwasser, was noch da ist, hat eine Temperatur weit oberhalb des Toleranzbereichs. Warten, abkühlen lassen, Wasser nachfüllen, weiter. Der Weg ist extrem holprig, erstaunlich, wenn irgend ein Fahrzeug das schafft. Dann das selbe Spiel, anhalten, warten, Kühlwasser einfüllen. Übrigens hat das Auto auch keinen funktionierenden Akku. Der Fahrer hält immer am Hang an und lässt den Wagen vorwärts oder rückwärts rollen, um ihn zu starten. Wir denken derweil darüber nach, ob wir darauf bestehen sollen, umzukehren. Mit Auto im Nirgendwo zu stranden, ist schließlich nicht besser als mit dem Fahrrad.

Am Ende haben wir jede Menge Fotos mit kaputtem Auto vor spektakulärer Landschaft und es tatsächlich bis zur Hauptstraße geschafft.

Dort dauert es zwar eine Weile, bis der erste LKW vorbeikommt, der nimmt uns aber sofort mit nach Murgab (dass ich dorthin mitfahre, ist Faulheit, über die spektakuläre, einsame Hochebene dorthin könnte ich auch wieder radeln. Aber hey, ich habe Urlaub!)