23.9.2018 Yerevan – Urdzadzor
Eigentlich ca. 65 km, aber man kann ja ein paar Ausflüge drauflegen.
Wieso fährt man im ersten Tag des Urlaubs 90 km, nachdem man die Nacht, statt zu schlafen im Flugzeug mit lauter weinenden Kindern verbracht hat? Ich weiß es nicht. Aber ich tue es. Von vorn: der Flug nach Yerevan dauert etwas weniger als vier Stunden, von 21:45 bis 3:30. Dieses Mal klappt der Fahrradtransport hervorragend. Mein Fahrrad kommt als erstes Gepäckstück an, während ich noch dabei bin, eine armenischen SIM-Karte zu kaufen.
Als ich mich um kurz nach 5 auf den Weg mache, ist es natürlich noch stockdunkel. Gut, weil auch auf der autobahnähnlichen Straße am Sonntag morgen um 5 nicht viel los ist. Schlecht, weil dunkel und etwas gruselig. Ab und zu stürzen bellende Hunde hinter Häusern hervor. Und auf dem Weg heraus aus der Stadt fährt man zwangsläufig durch Industriegebiet. Ich bin froh, als endlich die Sonne aufgeht.
Dann allerdings ist der Ausblick der sich mir bietet sensationell: der Ararat im Sonnenaufgang. An seinem Fuß gibt es ein must-see- Kloster, Pokr Vedi. Ich mache den Umweg. Es ist 8:30 Uhr als ich ankomme,gerade noch rechtzeitig offenbar, bevor die Touristenhorden einfallen. Während ich im Schatten sitze und frühstücke, werden es immer mehr.
Das Kloster ist beeindruckend, weniger wegen einzelner Gebäude als wegen des gesamten Ensembles und der Lage am Fuß des Ararat. In die zahlreichen Kapellen werfe ich nur einen kleinen Blick. Dann geht es weiter, die letzten 25 km bis Urdzadzor, meinem heutigen Ziel.
Kaum habe ich ein unbequemes Bett in einem einfachen Zimmer bekommen, falle ich hinein und schlafe.
Am Nachmittag mache ich mich mit dem Rad noch einmal auf den Weg, zum Rand eines Naturschutzgebiets in der Nähe. Sagen wir so, ein hübsches Flusstal, ein kurzes Gespräch mit einem jungen Mann von der Eco-Lodge. Wirklich gelohnt hat sich der Ausflug nicht.
24.9.2018 Urdzadzor – Yeghegnadzor
82 km, 2050 Höhenmeter, nachdem ich schon wieder einen Umweg draufgelegt habe.
Strahlender Sonnenschein
Der Weg heute führt erst langsam, dann immer steiler bergauf. Nach kurzer Zeit gibt es kaum noch Autos, auch Menschen sind kaum zu sehen. Es ist halb 1, als ich endlich oben auf dem Pass ankomme. Da bin ich gerade 20km gefahren, von den 65, die ich heute geplant habe.
Kurz vor dem Gipfel gelingt es mir noch, meine Wasservorräte aufzufüllen, an einem Brunnen am Straßenrand. Ich Trottel habe nämlich zu wenig Wasser dabei und überlege schon, wieviel wohl in den Äpfeln, die ich unterwegs geschenkt bekommen habe, noch enthalten ist.
Ich finde einen schönen Platz für eine Pause , dann geht es weiter, jetzt endlich bergab. Meine Straße trifft wieder auf die Hauptstraße der Verkehr wird stärker dafür gibt es nun alle paar Meter Stände, an denen Obst verkauft wird, dann auch mal ein richtiges Café. Noch weiter unten werden aus den Obstständen Weinstände, die Region ist für ihren Wein bekannt. Obwohl ich eigentlich nichts mehr in meine Taschen bekomme, kaufe ich einen halben Liter ziemlich süßen Wein.
Nachdem ich alle schönen Höhenmeter wieder weggerollt habe, sehe ich einen Abzweig. „Naturschutzgebiet“ und „Noravank Kloster“ steht auf dem Wegweiser. Die Felsen auf beiden Seiten der Straße wirken so spektakulär, dass ich beschließe, ein bisschen in dieses Canyon hineinzuschauen. Und fahre weiter. Immer noch spektakuläre Landschaft. Noch weiter. Unterwegs treffe ich ein paar Deutsche, die in einem Projektes WWF Trails anlegen, heute aber gerade dabei sind Müll wegräumen (-> barevtrails.com). Schließlich mache ich ein kleines Picknick, kurz unterhalb des Klosters bevor ich endlich umkehre.
Schon wieder bin ich total erschöpft, als ich es kurz vor Einbruch der Dunkelheit mit letzter Kraft in meine Pension schaffe. Trotzdem, eine schöne Tour heute.
25.9.2018 Yeghegnadzor – Jermuk
50,7 km, 1216 Höhenmeter rauf und 396 runter.
Eigentlich plane ich heute, nach Sisian zu fahren, eine Stadt, die laut Lonely Planet schon bessere Tage gesehen hat. Es geht die Hauptstraße entlang, ich werde von ziemlich vielen Tanklastern mit iranischen Kennzeichen überholt. Neben der Straße fließt ein kleiner Fluss alle paar Meter gibt es ein Restaurant mit Blick dorthin.
Als ich einen Wegweiser nach Jermuk sehe, biege ich ab. Einen etwas kürzeren Weg kann ich heute gut gebrauchen. Ich fürchte, es macht sich nun die Anstrengung der letzten Tage bemerkbar. Auch so sind es mehr als 1200 Höhenmeter, die schaffe ich gerade so, mehr hätte es heute nicht sein dürfen .
Jermuk ist eine alte Kurstadt, es gibt Mineralwasser, ein ziemlich sowjetisch anmutendes Kurhaus, eine spektakuläre Schlucht und viele Hotels, oft in der oberen Preisklasse. Für mich das alles in Schnelldurchgang, weil ich mich erst einmal ausgiebig ausruhen muss. Immerhin trinke ich mich noch durch die verschiedenen Quellen. Alle etwas säuerlich, ich finde, sie unterscheiden sie sich hauptsächlich in der Temperatur.
26.9.2018 Jermuk – Sisian
64 km, inclusive Verfahren, meine App behauptet, dass es nur 590 Höhenmeter hoch ging und 1088 m runter. Kann ich mir nicht vorstellen.
Auf der Karte hatte ich den Eindruck, dass es eine durchgängige Straße gibt, die von der Hauptstraße bis fast nach Jermuk führt und dann in einem Bogen wieder zurück zur Hauptstraße. Und eben den Abzweig nach Jermuk. Offensichtlich habe ich aber falsch geguckt. Tatsächlich gibt es nur die eine asphaltierte Straße nach Jermuk und relativ früh auf dieser Straße einen Abzweig. Wenn ich nicht einen Großteil der Höhenmeter noch einmal fahren will, muss ich über eine holprige Schotterstraße. Und dabei dachte ich, dass das ein Tag zum Ausruhen wird, dass ich vielleicht schon mittags in Sisian bin und den Nachmittag in einem Café mit einem Buch in der Hand verbringen werde.
Nix da. Manchmal kann man auf dieser Straße fahren, oft ist sie unglaublich holprig. Selbst wenn ich schiebe, rutsche ich dauernd weg. Zeitweise ist es so steil, dass ich in kleinen Etappen schiebe: 100 Schritte schieben, anhalten, einen Schluck Wasser trinken, durchatmen, wieder 100 Schritte schieben. Immerhin, zuviel Verkehr ist nicht. Ein paar mal, über den Tag verteilt quält sich ein Auto die Strecke entlang, der Fahrer wechselt ein paar Worte mit mir … woher, wohin, woher kommst du eigentlich, ah, ich war mit dem Militär in der DDR, Berlin, Potsdam, Halberstadt… die Straße geht nur noch ein bisschen bergauf, dann wird es besser…schönen Tag noch.
Außer diesen Autofahrern gibt es jede Menge Rinder- und Schafherden, erstere oft mit richtigen Cowboys. Und natürlich Hunde. Die sind überall.
Dann endlich bin ich wieder auf der Hauptstraße, endlich Asphalt unter den Rädern. Letztlich bin ich erst gegen 5 in Sisian, einer Stadt mit sowjetischem Charme und netten Menschen. Ich investierte noch umgerechnet 4 €in eine Privatführung durch das örtliche Museum und offenbare meine ganze Unkenntnis über armenische Geschichte (wann und wie kam Armenien doch gleich zur Sowjetunion? Krieg Anfang der 90ger? Vielleicht gegen Aserbaidschan? 4-Tage-Krieg 2016?)
27.9.2018 Sisian – Tatev
50km, vielleicht 950 Höhenmeter.
Heute sollte ich eigentlich jede Menge spektakuläre Fotos von der Schlucht vor Tatev haben, von den endlosen Serpentinen ganz hinunter ins Tal und dann wieder rauf bis zum Kloster. Und vom über den Felsen hängenden Kloster. Aber nein, zu bieten habe ich nur ein paar sehr alte Steine vom ersten Teil meiner Tour, frühe Bronzezeit, Grabstätte, daneben war wohl eine Siedlung. Einige Steine haben Löcher, der Lonely Planet sagt, die zeugen vom großen astronomischen Wissen der Erbauer und seien ganz exakt ausgerichtet. Wikipedia sagt, sie seien wohl dazu da gewesen, die Steine aufzurichten. Alles andere sei vermutlich Quatsch, der für Touristen erzählt werde.
Die Ausgrabungsstätte ist kurz hinter Sisian. Danach folgt öde Straße und als es wieder schön werden könnte: Nebel, Kälte, Regen. Man kann kaum die Hand vor Augen erkennen. Statt eines Fotos tut es ein weißes Blatt Papier. Nur ganz unten in der Schlucht, bevor es nach Tatev hinauf geht, wird es kurz besser. Eine wunderschöne Schlucht, in die man nicht wirklich hineingehen kann, in der es aber warme Quellen und ein paar Becken mit ihren Wasser gibt.
Bis hierhin war die Straße übrigens prima. Und nun, für den steilen Aufstieg, haben sie wieder den Asphalt vergessen. Es holpert und holpert. Und irgendwann höre ich lautes Zischen: ich habe einen Platten. Alles ist nass, lehmig, überall klebt der Nebel und der Flicken will auch beim dritten Versuch nicht halten. Ich versuche, den Schlauch zu wechseln und stelle fest, dass ich nicht den richtigen dabei habe. 100 Gummipunkte für Blödheit!
Dann hält neben mir ein Auto, der Fahrer fragt, ob er helfen kann, erzählt, dass er in Hamburg wohnt, hält einen LKW an, weil sein eigenes Auto zu klein ist, bindet mein Rad zusammen mit dem Fahrer darauf fest und zwanzig Minuten später bin ich in meiner Unterkunft (wo die Reparatur gar kein Problem mehr ist.)
29.-30.9.2018 Tatev
Auch heute herrscht dicker Nebel, keine wunderschöne Aussicht. Und kein schöner Blick auf das berühmte Kloster von Tatev.
Mich hat ein Magen-Darm Infekt erwischt. Ich bleibe also in meiner Unterkunft, das Haus einer Familie die, soweit ich es sehe, über den Sommer die eigenen Zimmer freigemacht hat, um sie zu vermieten. Bad über den Hof, die Wasserpumpe funktioniert, wenn sie Lust hat, es gibt jede Menge Hühner und eine Wirtin die unablässig arbeitet: Sie kümmert sich um die Gäste, das Essen, die Hühner, den Garten, kocht und backt Leckereien, die sie an einem Stand vor dem Kloster von Tatev verkauft. Heute kümmert sie sich auch noch um mich krankes Hühnchen. Ihr Mann schaut vor allem fern, fragt ab und zu aber immerhin, ob ich etwas brauche.
Offenbar sind die Wirte erst vor ein paar Jahren hierher gezogen, ins Elternhaus des Mannes, weil in Yerevan keine Arbeit zu kriegen ist. Und hier? Der Mann sagt, als er hier zur Schule ging, gab es über 80 Kinder im Jahrgang, nun gibt es 8 Kinder in der diesjährigen 1.Klasse. Nächste Jahr gibt es keine. Die Fabriken wurden nach der Perestroika geschlossen, die Leute sind weggegangen. Nach Russland meistens, einige nach Europa.
Am nächsten Morgen scheint die Sonne und auch mir geht es besser, die nächste Etappe Rumpelstrecke traue ich mir aber noch nicht zu. Also bleibe ich noch. Fahre mit der Seilbahn „Wings of Tatev“ über das Tal hin und her, weil das ja auch mal sein muss. Immerhin wird diese Attraktion auf den Wegweiser schon seit kurz hinter Yerevan angekündigt.
30.9.2018 Tatev – Kapan
50 km, 768 Höhenmeter rauf, 1579 m runter
Meine Gastgeber beruhigen mich, als ich sie nach dem Zustand der Straße nach Kapan frage. Auf der Karte ist sie noch ein klein wenig schmaler eingezeichnet als der Lehm-Schlamm-Stein-Holperweg aus dem Tal bis hinauf nach Tatev. Diese Strecke hier sei teilweise sogar asphaltiert sagen sie. Ja, für kleine Autos könnten die tiefen Löcher schon schwierig sein, aber mit den Rad ginge das. Es stimmt weitgehend auch, oft kommt man ganz gut voran, manchmal muss man ziemlich aufpassen, gelegentlich in engen Kurven um die Schlaglöcher fahren.
Über weite Strecken ist es sehr einsam heute, vor allem oben auf den Bergen Ganz selten mal ein Auto, einmal ein alter Mann mit einem Esel, mit dem ich mich kurz unterhalte. Erst weiter unten kommen ein paar Dörfer, dann eine Kupfermine und schließlich bin ich wieder auf der Hauptstraße und kurz danach in Kapan.
Die Vororte der Stadt lösen Fluchtreflexe aus: altes Gewerbegebiet, die eine oder andere Nachtbar. Die paar Leute auf der Straße sind Männer und scheinen mich anzustarren. Irgendwo hier sehe ich das Hotel, das ich gebucht habe. Ohne nachzudenken fahre ich weiter und miete mich in der Innenstadt in einem Haus ein, von dem der Lonely Planet schreibt, dass sich seit der Sowjetzeit eigentlich nichts geändert hat. Tatsächlich ist es aber gar nicht so schlecht. Und doch, sowjetische Hotels waren noch ein Stück hässlicher.
1.10.2018 Kapan – Meghri
75 km, 1818 Höhenmeter rauf, etwas mehr runter
Ein bisschen Angst macht mir die Etappe heute schon, gestern war ich nach etwas mehr als 700 Höhenmetern geschafft, heute sind deutlich mehr als doppelt so viele. Und zwar am Stück, kontinuierlich rauf zum Meghri Pass und dann wieder runter. Und so ist es denn auch, ganz schön anstrengend. Landschaftlich fängt es super an, mit Blick auf den das hiesige Gebirge, geht ein bisschen langweiliger weiter, bevor die Straße durch die ungewöhnlich hässliche Bergbaustadt Kajaran führt und dann vorbei an riesigen Tagebauen: der Berg wird hier wegen Kupfer und Molybdän angeknabbert, später auf der anderen Seite gibt es eine Goldmine.
Hinter Karajan wird es ernsthaft steil, aber ich schaffe es bis gegen halb vier ganz nach oben. Könnte mir sogar ein bisschen mehr Zeit für Pausen nehmen können, traue ich mich aber nicht, weil ich sichergehen will, noch bei Tageslicht anzukommen. Aber klar: runter geht es ganz schnell. Und übrigens auch auf recht guter Straße, der obere Teil wird gerade frisch asphaltiert.