Murgab
Murgab ist ein größeres Dorf, das aus geduckten kleinen Häusern und dem berühmten Containermarkt besteht. Die Leninstatue am Dorfeingang habe ich nicht gesehen (war schon dunkel, als wir wohl daran vorbeifuhren), außerdem gibt es eine Art Platz mit so etwas wie einem Denkmal – wofür auch immer. Nichts, also gar nichts Attraktives auf den ersten Blick. Trotzdem bleibe ich drei ganze Nächte, um mich auszuruhen und an die Höhe zu gewöhnen, bevor es an den höchsten Pass der ganzen Reise geht, den Ak Baital.
Und siehe da, das Dorf wird sympatisch. Es ist ruhig hier, abgesehen von den Kindern, die einen auch hier überall mit einem lauten „Hello!“ begrüßen, es gibt da mehrere durchaus nette kleine Restaurants, auf dem Containermarkt geht es ruhiger zu als man meinen sollte, dennoch finden sich eine Menge Dinge, wenn man sucht. Ich beispielsweise kaufe mir ein komplett albernes dunkelblaues Shirt mit aufgestickten Perlen, weil ich dringend ein dünnes, langärmliges Oberteil brauche, um in der Sonne nicht komplett zu verbrennen.
Murgab – ein einzelnes Haus unterwegs
47 km, 400 Hm
Von Murgab bis Karakul sind es 135 km und dazwischen gibt es kein Dorf, kein Laden und auch sonst fast kein menschliches Leben – wenn da nicht Tonya wäre. Der Wirt meiner Unterkunft in Murgab sagt mir, dass es da nach etwa 50 km ein einzelnes bewohntes Haus gibt und dass dort bei Bedarf auch Straßenarbeiter unterkommen können. Ich solle doch dort übernachten, sagt er. Das bedeutet zwar ziemlich wenig Radfahren, ist aber keine schlechte Idee, weil ich in einer Höhe von 4000 m aufpassen möchte, nicht höhenkrank zu werden. Ich schleiche, dort angekommen, etwas ums Haus herum, bis ich entdeckt werde und sofort Tee angeboten bekomme.
Im Haus wohnt zurzeit die 60 jährige Tonya mit zwei ihrer 14 Enkel. Der Junge hütet den Tag über Schafe, das Mädchen melkt sie morgens, backt zwischendurch Brot und macht, was sonst so anfällt. Außerdem gibt es die verspieltesten Hunde der Welt, mehrere Esel und ein Katzenbaby. Was es nicht gibt, sind Annehmlichkeiten wie elektrischen Strom, fließendes Wasser oder gar Internet. Alle Bewohner sind auch nur über den Sommer hier oben, ansonsten leben sie in Murgab.
Ich jedenfalls werde auch zur Übernachtung eingeladen, Tonya schlägt zunächst vor, dass ich im Zimmer mit ihr und den Enkeln schlafe. Als ich lieber ins Zelt möchte – der Raum ist mir zu warm – zeigt sie mir weitere große, leer stehende Räume mit eigenem Eingang, in denen ich dann mein Innenzelt aufstelle. Das große Haus, sagt Tonya, haben Deutsche gebaut, sie sagt deutsche Kriegsgefangene, außerdem, dass das Haus sehr gut und stabil ist. Mir scheint das mit den Kriegsgefangenen nicht so viel Sinn zu ergeben, aber Moment, ist ja nicht so, dass das die einzigen Deutschen waren, die in Zentralasien gelandet sind. Auch durch Stalins Zwangsumsiedlungen wurden zahlreiche deutsche Dörfer aus Russland nach Zentralasien umgesiedelt. Vielleicht waren es diese Leute?
Tonya ist Kirgisin und erzählt, dass die Gegend immer von Kirgisen bewohnt war, dass es unter den jungen Leuten aber immer weniger werden – Kirgisen finden in Tadschikistan nur schwer Arbeit, manche haben Schwierigkeiten mit der tadschikischen Amtssprache, viele wandern nach Kirgistan ab. Auch zwei ihrer Kinder leben dort. Und mit Grenzen, die derzeit nur für Touristen geöffnet sind, sind selbst Besuche ziemlich schwierig. Sie führen über Duschanbe nach Usbekistan und erst von dort nach Kirgistan.
Einzelnes Haus – Karakul
90 km, 767 Hm
Vor dem höchsten Pass meiner Radtour frühzeitig zu übernachten, war eine gute Idee. Nicht nur bin ich schon in einer Höhe von 4000 m reichlich kurzatmig, ich schlafe auch schlecht und habe nachts Kopfschmerzen. Und wie das so ist, wenn man nachts wachliegt, zweifle ich an meiner Fähigkeit, überhaupt über den 4655 m hohen Ak-Baital-Pass zu kommen. Also langsam, ganz langsam. Zum Glück ist der Anstieg sehr allmählich. Lediglich die letzten 3 km sind etwas steiler – und die schiebe ich.
Oben dann ist nichts, weder eine tolle Aussicht, noch ein großes Schild. Ich habe eine Reihe Videos gesehen, auf denen Radfahrer Höhenmesser in die Kamera halten, aber nicht einmal so etwas habe ich. Hintergrund für die fehlende Kennzeichnung ist anscheinend, dass der Name Ak-Baital kirgisisch ist und an seine Stelle ein tadschikische Name treten soll. Schilder weiter unten haben schon den neuen Namen.
Nachdem die Höhe geschafft ist, wird es nur wenig einfacher: bis ich am Abend endlich am traumhaft schöen See Karakul ankomme, machen mir die schlechte Straße und der immer gegen Mittag aufkommende starke Wind noch ganz schön zu schaffen.
Der See ist, wie gesagt, spektakulär. Das eine Dorf nach 135 km ist dagegen trostlos: kleine Häuschen, ein guter Teil verlassen, kein elektrischer Strom, kein fließendes Wasser, dafür eine Reihe von Gästehäusern, die mit viel Engagement versuchen, ihre Gäste ohne beides gut zu versorgen.
Karakul – Sary Tash
88 km + x Hm
Am Abend überlege ich noch, einen weiteren Tag in Karakul zu bleiben. Ich bin etwas erkältet und einigermaßen erschöpft. Aber ehrlich gesagt, ich sehne mich doch sehr nach etwas mehr Zivilisation. Also geht es morgens weiter.
Das Problem: vor mir liegen knapp 90 km Nichts. Kein Ort, kein Haus, kein Café, keine schattenspenden Bäume. Den ersten Pass schaffe ich ganz gut, dann geht es erst einmal wieder bergab. Unten wird es dann gruselig. Der tägliche Sturm setzt heute noch früher ein als sonst. Der Wind pustet extrem kräftig, vor mir steigt an zahlreichen Stellen Sand in die Luft. Es beginn, zu regnen. Und weit und breit niemand und nichts. Was soll ich sagen, als dann doch ein Auto neben mir hält und mich fragt ob ich mitfahren will, nicke ich. Es ist ein Taxifahrer, der im Niemandsland zwischen Tadschikistan und Kirgistan Touristen von seinem kirgisischen Kollegen übernehmen will. Und wo er ja doch sowieso fährt, nimmt er mich mit, hilft mir möglicherweise an der Grenze, ein bisschen und hofft auf gutes Trinkgeld. Mir spart die Aktion nicht sehr viele Kilometer, aber doch einige Höhenmeter.
Die Touristenübergabe ist nötig geworden, nachdem vor wenigen Jahren ein Grenzkonflikt zwischen Kirgistan und Tadschikistan ausbrach und seither weder kirgisische noch tadschikische Fahrer über die Grenze dürfen. Sie ist nur für Touristen nach vorheriger Genehmigung geöffnet. Also treffen sich regelmäßig Taxifahrer im Niemandsland, Touristen wechseln Autos und es geht weiter. Klar, dass sich die Taxifahrer das gut bezahlen lassen.
Der kirgisische Fahrer würde mich gegen entsprechende Bezahlung gern ebenfalls mitnehmen, aber nun fahre ich doch selbst weiter. Die Straße führt gut 20 km weit durch Niemandsland. Und was niemandem gehört, um das kümmert sich auch niemand. Die Straße ist teilweise in erbärmlichem Zustand. Mir gefällt sie besser, als der die Waschbrettoberfläche, die es häufig Wakhan-Tal gab, aber das liegt wohl daran, dass es relativ lange nicht stark geregnet hat. Nach einem Regen möchte ich durch diesen Schlamm nicht fahren.
Erstaunlicherweise verändert sich direkt nach dem Pass auch die Landschaft: während es in Tadschikistan, nur nackten Fels gab, wird es nun grün. Weit oben, vor allem viele Flechten, dann Gras, Weiden, Rinder- und Ziegenherden. Ja, auch im Niemandsland.
Auf die Einreise nach Kirgistan muss ich eine ganze Weile warten, weil ich in einer größere Reisegruppe von Motorradfahrern gerate. Dann geht es weiter. Zunächst ganz gut, dann wird der Sturm stärker und immer stärker und pustet mir irgendwann genau ins Gesicht. Ich komme kaum noch vorwärts und die Turbulenzen von vorbeifahrenden Autos (von denen es in Kirgistan wieder einige gibt) schieben mich mehrmals auf den Seitenstreifen. Ich bin schon sehr froh, als ich endlich in Sary-Tash ankomme, eine Unterkunft finde und auch gleich noch zu erbärmlich schlechtem Kurs Geld tauschen und eine SIM-Karte kaufen kann.