Teil 7 – Potosi – Santa Cruz

Mein Rad hatte ich in einer Pension in Uyuni stehen lassen (kein Problem, es ist ganz sicher, sagten die Gastgeber). Als ich versuche, sie wegen der Abholung zu erreichen, bekomme ich auf keinem der möglichen Kanäle Antwort, auch buchen kann ich die Pension nicht. Ein bisschen verunsichert bin ich also, also ich mich in den Bus nach Uyuni setze. Dort angekommen, scheint die Pension wie ausgestorben, ich sehe oder höre keinen Menschen. Allerdings kenne ich noch die kleine Schnur, die durch ein Loch in der Tür nach draußen hängt. Mit der lässt sich die Türklinke von außen öffnen und im Flur steht – genau wie ich es da gelassen habe – mein Fahrrad. Ich schreibe also eine kurze Nachricht für die Gastgeber, wundere mich und nehme das Rad mit.

Trotzdem will ich mir die restliche Strecke nicht zu schwierig machen. Deshalb lade ich das Rad erst einmal wieder in den Bus nach Potosi. Das ist sehr unproblematisch, im Gegensatz zu Chile will auch niemand Geld für das Rad.

In Potosi allerdings stelle ich zu meinem Leidwesen fest, dass der Busbahnhof definitiv nicht in der Innenstadt liegt. Dafür liegen gute Teile der Stadt an extrem steilen Hängen und alles natürlich in ungefähr 4000 m Höhe. Habe ich die dicken schwarzen Wolken erwähnt, die fast sämtliche Fahrzeuge hinter sich herziehen? Also: der Weg vom Busbahnhof zum Hotel ist sehr ernüchternd. Und sehr anstrengend.

Ich habe einen ganzen Tag Zeit in Potosi und eigentlich habe ich den fast ganz verplant: vormittags eine Tour durch die aktiven Minen der Stadt, nachmittags eine Stadtführung. Es kommt zumindest für den Vormittag anders: ich gehe gerade mal 20m in die Mine hinein, bekomme einen Anfall von Claustrophobie und fliehe. Ja, letztes Jahr bin ich 7 Stunden durch ein sehr enges Höhlensystem in der Ukraine gekrabbelt. Nein, das ist nicht dasselbe. In Potosi ist es absolut realistisch, kaum Luft zu bekommen, Sicherheitsvorkehrungen sind berüchtigt kaum vorhanden (der Führer erklärt, dass Zigaretten etwas anders glühen, wenn der CO-Gehalt zu hoch wird. Messgeräte sind überschätzt.). Ich kann da nicht rein und warte draußen auf die Gruppe.

Die Innenstadt von Potosi ist sehenswert: viel koloniale Architektur, viel Protz. Die Stadt war eben einmal sehr reich, mit ihrer ergiebigen, von den Spaniern ausgebeuteten Silbermine.

 Potosi-Betanzos

47 km, 300 Hm bergauf, vielmehr bergab

Wie schon die Fahrt zum Hotel ist auch die Fahrt aus der Stadt heraus eine Katastrophe. Die engen Einbahnstraßen navigiert die App ganz gut, aber der Verkehr! Die dicken, schwarzen Abgaswolken! Ja, das gibt es woanders auch, aber in mehr als 4000 m Höhe japse ich sowieso schon nach Sauerstoff. Und so steil wie hier sind die Straßen auch nicht überall.

Hinter der Stadt wird es langsam besser, außerdem führt die kurze Strecke heute vor allem bergab. Gegen Mittag bin ich in Betanzos und finde tatsächlich eine nette Unterkunft – ziemlich neu, sauber, umgerechnet 6 Euro pro Nacht.

Betanzos selbst ist eine eher langweiligen Provinzhauptstadt. Es gibt eine hübsche Kirche und einen Markt, aber damit scheint man dann auch alles gesehen zu haben. Beim zweiten Gang durch die Stadt erscheint sie dann eher trostlos.

Kirche in Betanzos

Betanzos – Puente Antonio Jose Sucre

65 km, 746 Hm

Weiterhin geht es vor allem bergab – mit deutlich nennenswerten Ausnahmen. Und zumindest heute macht sich das auch in der Temperatur bemerkbar: es ist heiß, Anstiege in der Sonne sind definitiv kein Spaß.

In Millares esse ich zu Mittag. Es gibt hier an den meisten Orten Comedores, also günstige Restaurants, in denen man eine Suppe und Hauptgericht für umgerechnet unter zwei Euro bekommt, viel günstiger als in Restaurants, die auf Touristen ausgerichtet sind. Abwechslungsreich ist das Essen nicht – die Optionen scheinen überall identisch zu sein. Aber die Schnitzelqualität ist OK und satt wird man definitiv. Ein Risiko für Lebensmittelvergiftung ist natürlich immer dabei.

Einen Anstieg später erreiche ich die Brücke „Antonio Jose Sucre“. Es handelt sich um eine Hängebrücke, die beeindruckend zwischen zwei  Forts über den Fluss Pilcomayo führt – und die heute vollkommen funktionslos ist. Nicht nur, dass sie anscheinend mitten im Nirgendwo gelegen ist, sie ist nicht einmal mit dem Fahrrad von beiden Seiten erreichbar. Zwar führt von der Hauptstraße aus ein Weg hinunter zur Brücke, aber für alle außer Fußgänger hat ein Erdrutsch den Weg unpassierbar gemacht, man muss außen herum über eine neuere Brücke fahren. Genau das tue ich – ioverlander empfiehlt den gegenüberliegenden Turm als Zeltplatz.

Außer mir ist bereits ein französisches Paar mit Camper da, außerdem eine ganze Reihe wilder Hunde. Es ist laut, nebenan wird Kies ausgebaggert, aber wir hoffen, dass der Lärm nachts aufhört – leider behalten wir nur teilweise Recht, die ganze Nacht über sind immer Mal wieder Motoren zu hören.

Schlimmer aber: das nette französische Paar lädt mit zum Abendessen ein. Einer der Hunde ist entweder frustriert, dass die Einladung nur für mich gilt oder findet einfach mein Zelt toll – jedenfalls zerfetzt er in der Zeit die ich weg bin, gute Teile meines Vorzelts und beißt gleich mehrere Leinen durch. Und dann steht er da, wedelt intensiv mit dem Schwanz und benimmt sich, als wolle er gelobt werden…

Puente Sucre
Dieser Hund hat mein Zelt zerstört!

Puente Sucre – Sucre

45 km, 1250 Hm, aber die letzte paar hundert davon fahre ich Bus.

Was soll ich sagen, die Landschaft ist gewohnt hübsch, die Höhenmeter führen aber heute mehr bergauf als bergab. Nach den katastrophalen Abgasen in Potosi habe ich aber ohnehin nicht die geringste Lust, mit dem Rad in eine bolivianische Großstadt hinein zu fahren. Also geht es bis Yolata, ich esse zu Mittag und mache mich auf die Suche nach einem Bus. Eine ältere Frau, die an der Straße Empanadas verkauft, hilft. Einige Minibusse fahren an mir vorbei, bis endlich einer anhält. Der Fahrer klettert aufs Dach, lässt sich das Rad hochgeben, legt es auf den Dachgepäckträger ohne es sonderlich zu sichern, ich quetsche mich mit Gapäck in den schon überfüllten Bus und los geht es.

Etwas später bin ich in Sucre, der offiziellen Hauptstadt (aber nicht Regierungssitz!) von Bolivien und muss überlegen, wie es weitergeht mit meinem kaputten Zelt.

Sucre ist erst einmal überraschend hübsch – weiße Gebäude (wie ich später erfahre ist die weiße Farbe im Zentrum vorgeschrieben), koloniale Kirchen, deutlich weniger chaotisch und voll als andere Städte. Auch mein Hostal ist sehr schön.

Sucre

Ursprünglich möchte ich nur zwei Nächte bleiben, letztlich werden es 8. Ich melde mich zu einem Spanischkurs in einer der hier relativ zahlreichen Schulen an – meine heißt “ me gusta“, und ist durchaus empfehlenswert.

Was mein kaputtes Zelt betrifft, dauert alles länger als gedacht. Zuerst versuche ich ein Neues zu kaufen, was sich als erstaunlich schwierig erweist. In Uyuni wurden ein paar Zelte auf dem Markt verkauft, hier nicht. Schließlich finde ich eins  für umgerechnet 15 Euro. Klar, dass ich dem nicht traue. Die Zeltstangen sind anscheinend aus Kunststoff und ein paar Millimeter dick, die Heringe sehen eher aus wie Nadeln und ein Innenzelt gibt es natürlich nicht. Aber immerhin kann ich den Stoff nutzen, um das alte Zelt zu reparieren. Auch jemanden zu finden, der die Reparatur übernehmen kann, dauert. Die Lösung ist, dass Näherinnen nicht auf dem zentralen Markt zu finden sind, sondern auf dem so genannten Schwarzmarkt. Mit etwas Verspätung kommt mein Zelt kommt unter eine der Nähmaschinen. Ob es wieder funktioniert? – muss ich wohl ausprobieren. Die Näherin hatte es etwa eilig und die Maschine hatte Schwierigkeiten, den beschichteten Stoff zu transportieren. Das Ergebnis ist einigermaßen ungleichmäßig, aber es sollte ausreichen, um das Vorzelt wieder abzuspannen.

Sucre – Zurima

60 km, 1000 Hm

Ich hatte gehofft, dass der Weg aus Sucre heraus etwas weniger unangenehm ist als der aus Potosi. Ich lag falsch. Die Städte sind hier alle im Schachbrettmuster angelegt, ohne irgendeine Rücksicht auf das Höhenprofil. Manche Straßen sind also extrem steil, ich werde wieder in schwarze Wolken von Autoabgasen gehüllt und die Stadt will kein Ende nehmen.

Als sie es doch tut, ist da ein Dinosaurier-Park. Zu sehen sind echte fossile Fußspuren von Sauriern, an einer so gut wie senkrechten Wand (die durch tektonische Verschiebungen aufgerichtet wurde.) Das Interessante daran ist, dass die Anden weitgehend erst nach dem Aussterben der Dinosaurier entstanden sind. Erstaunlich also, dass sich die Spuren erhalten haben, weniger erstaunlich, dass was einmal eine Ebene war, heute eine senkrechte Wand ist.

Ich habe allerdings genug davon, in Zeitlupe voranzukommen und werfe deshalb nur einen kurzen Blick auf ein paar Spuren, bevor ich weiter fahre.

Der Verkehr wird jetzt weniger, irgendwann fahre ich durch ein Tal, dass offenbar Naherholungsgebiet für Sucre ist – den vielen Pools, Rutschen und Restaurants nach zu urteilen. Ich esse guten Pacu  zu Mittag  – ein Fisch, den es hier überall gibt und von dem ich noch nie gehört habe.

Gegen Nachmittag wird die Landschaft dann richtig schön und auch mein Ziel heute, das Dorf Zurima ist zwar klein aber sehr sympathisch. Eine Unterkunft für mich gibt es auch: ein Zimmer in einer Hofanlage, die ich für mich allein habe. Fensterglas gibt es nicht – und damit ist leider kaum etwas gegen die Mücken zu machen, Wasser kommt offenbar nur tröpfchenweise durch die Leitung, aber der Hof ist sehr schön.

Zurima – Aiquile

80 km, 1530 – 1680 Hm

Uff! Der Tag fängt mit ein paar km abwärts an, dann ist es ein langer, langer (wenn auch nicht sehr steiler) Anstieg bis ein paar km vor Aiquile.

Größtenteils führt die Straße durch ein weites Tal, auf den ersten Blick fällt der Anstieg kaum auf.

Wie immer sitzen jede Menge wilde Hunde am Straßenrand. Sie sehen aus, als würden sie sich mit Autofernsehen amüsieren. Tatsächlich warten sie vermutlich darauf, dass Leute Abfälle aus dem Autofenster werfen – was sie auch ständig tun. Wobei – es sieht so aus, als würden die Abfälle am Straßenrand auf dem Weg weniger, dafür sehen die Hund immer ausgehungerter aus.

Aiquile – Peña Colorada

56 km, 1000 Hm

Der Tag gestern steckt mir noch etwas in den Knochen, also geht es eher langsam vorwärts. Ich schiebe das Rad öfter mal die Anstiege hoch – schlicht, um auch mal andere Muskeln zu benutzen. Die Steigungen sind eigentlich alle fahrbar.

Ich bin mittlerweile klar in Papageienland. Es gibt ein Schutzgebiet, speziell für eine bestimmte Papageienart. Allerdings: Die Vögel lassen sich partout nicht fotografieren. Dafür sind permanent ihre Schreie zu hören.

Heute gibt es keine feste Unterkunft für mich, ich muss zelten. Ich nehme einen Platz, den Ioverlander empfiehlt, neben einem Turm aus roten Felsen. Es ist ein bisschen steinig – Heringe sind eigentlich nicht in den Boden zu bekommen (aber es liegen genug große Steine herum, um das Zelt zu sichern). Der Platz ist aber sehr schön. Allerdings wird es mittlerweile gegen halb 7 dunkel. Also, was bitte macht man im Zelt danach? Wenn man zusätzlich nicht zuviel Licht machen will? Eine Weile höre ich mein Hörbuch. Ich gehe nochmal raus (und habe etwas Schwierigkeiten, im Dunkeln mein Zelt wiederzufinden). Dann lasse ich mich von entfernten Wetterleuchten verunsichern. Gegen 9 versuche ich zu schlafen. Ist natürlich zu früh, ich liege ziemlich lange wach diese Nacht.

Peña Colorada – Saipina

45 km, 738 Hm

Irgendwann in der Nacht sind Wolken über den wunderschönen Sternenhimmel gezogen, als ich aufwache, regnet es. Wieder einmal packe ich das Zelt patschnass und sandig ein und fahre los. Eine längere Pause gibt es an einem kleinen Laden mit pappsüßem Saftersatz, weil der Regen zu heftig ist, als er nachlässt, geht es weiter. Die Strecke ist heute nicht sehr lang, die Höhenmeter sind auf mehrere Anstiege verteilt. Gegen Mittag bin ich in Saipina.

Der Ort ist ein bisschen trostlos, wie viele andere. Es gibt einen grünen Platz in der Mitte, eine Reihe günstiger Lokale, einen Markt. Kein Café, in dem man sich länger aufhalten möchte. Dafür treffe ich Rad Reisende, ein Paar aus Deutschland. Sie sind in die andere Richtung unterwegs, nach Sucre, Potosi, Uyuni. Mehr als für einen kurzen Erfahrungsaustausch sehen wir uns also nicht.

Samaipata

So, ich habe keine Lust mehr auf die vielen Steigungen und es regnet auch schon wieder. Also packe ich das Rad früh morgens in einen Bus. Wieder ist das super unproblematisch. Während man in Chile zumindest kritisch und genervt angesehen wurde und für den Transport ordentlich kassiert wurde, scheinen sich die Kartenverkäufer hier über die Frage zu wundern… natürlich kann der Bus ein Rad mitnehmen.

Samaipata ist ein nettes, relativ touristisches Städtchen mit Hippie-Vibes. Hübsche Cafés gibt es jede Menge, außerdem Agenturen, die Ausflüge und Wandertouren anbieten. Meine Unterkunft hat einen parkartigen Garten und gleich mehrere Gebäude aus Lehmziegeln. Ich bekomme ein großes Zimmer mit riesigen Panoramafenstern und Terrasse. Ideal für die letzten, entspannenden Tage in Bolivien.

In der Nähe befinden sich zwei wichtige Ausflugsziele: der Amboro Nationalpark mit gleich mehrere Vegetationszonen und „El Fuerte“, ein Berg, der gleich von mehreren Kulturen genutzt wurde, sowohl für kultische Zwecke als auch als Fort und für Wohngebäude: eine vor-inkaische Zivilisation, die Inkas, die Spanier.

Ich nehme an einer Wanderung zu Riesenfarnen teil, und besuche El Fuerte auf eigene Faust.

Auf dem Weg dorthin gibt es eine weitere, sehr lohnende Sehenswürdigkeit: das Refugio de colibris. Es handelt sich um ein großes Grundstück, auf dem nichts anderes getan wurde, als Nahrungspflanzen für Kolibris anzubauen. Extrem erfolgreich: man kann an einer beliebigen Stelle warten und sicher sein, gleich mehrere Kolibriarten zu Gesicht zu bekommen.

Santa Cruz

Auch nach Santa Cruz fahre ich nicht mit dem Rad – die Zeit dazu würde nach der Pause in Samaipata gar nicht mehr ausreichen. Dieses Mal wird es ein Sammeltaxi, mein Rad kostet eine kleine Gebühr und wird dafür kunstvoll auf dem Dach verzurrt.

Santa Cruz ist die größte Stadt Boliviens, es gibt einen schönen Platz im Zentrum und einige hübsche Cafés. Ein Taxifahrer erzählt stolz, die Stadt sei der wirtschaftliche Motor Boliviens. Sonst allerdings gibt es nicht allzuviel zu sehen.

Zu meiner Überraschung bekomme ich ziemlich unproblematisch einen Fahrradkarton (kostet eine kleine Gebühr, aber die Taxifahrt zu Fahrradladen und zurück ist teurer), in den ich das Rad halbwegs reingequetscht bekomme. Das ist nicht selbstverständlich. Wenn es hier Fahrräder gibt, sind es fast durchweg Mountainbikes oder Gravelbikes ohne Schutzbleche, Beleuchtung, Gepäckträger, Lowrider. All das habe ich aber an meinem Reiserad, tendenziell brauche ich trotz kleiner Räder und kleinen Rahmens mehr Platz als das durchschnittliche südamerikanische Rad.

Tja, und dann geht es schon mit einem sehr klapprigen Uber zum Flughafen.

Irgendeine Schwierigkeit gibt es ja immer, wenn man mit Fahrrad fliegen will. Heute lasse ich meine Fahrradtaschen an einer Packstation zusammen in Frischhaltefolie wickeln und stelle mich an eine endlose Schlange am Check-in. Als ich endlich dran bin, besteht das Personal darauf, dass ich auch den Fahrradkarton einwickeln lassen muss. Ich denke mal wieder über einen Wutanfall nach, mache mich aber auf den Weg zurück zur Packstation. Die Sache ist: In Bolivien ist wirklich alles für uns sehr billig, erst recht beim gerade geltenden inoffiziellen Wechselkurs. Nur diese Packstation hat quasi internationale Preise. Insgesamt lasse ich umgerechnet 36 € da und es ist wirklich Zufall, dass ich dieses Geld noch dabei habe.

Immerhin darf ich mich beim zweiten Mal vorn in die Checkin- -Schlange stellen, und – Hurrah – muss keinen Fahrradkarton mehr durch die Gegend buxieren. Noch besser: Gepäck und Rad kommen 20 Stunden später unversehrt in Berlin an und ich werde sogar vom Flughafen abgeholt!

Teil 6 – Ohne Fahrrad: San Pedro de Atacama, Salar de Uyuni, Titicaca-See, La Paz, El Choro Trek

Dieser Teil der Reise läuft im Wesentlichen ohne Fahrrad, weil meine Tochter da ist und keins mitgebracht hat. Sie hält mich für verrückt und sagt, mit mir gibt es keine Radtour.

Von Santiago aus fahren wir per Bus in etwa 20 Stunden nach San Pedro. Die Fahrradmitnahme ist zwar nicht ganz billig, funktioniert aber unproblematisch. Nur in Calama stellen wir fest, dass der Bus nach San Pedro nicht von dem Busbahnhof aus fährt, an dem wir angekommen sind, was mit Rad schon eine kleine Komplikation ist.

San Pedro ist ein sehr touristisches, aber auch sehr schönes Wüstendorf, umgeben von absolut spektakulärer Landschaft. Wie die meisten Touristen buchen wir ein paar organisierte Touren: zum Sterne beobachten in die nächtliche Wüste, zum Valle de la Luna und zu den Geysiren in El Tatio. Außerdem machen wir einen Ausflug zur Garganta del diablo, dieses Mal mit Fahrrädern (ein eigenes, ein geliehenes).

Alles, wirklich alles in der Umgebung ist absolut spektakulär und jede der Touren absolut empfehlenswert! Welche der zahlreichen Agenturen man wählt, scheint dabei nicht sonderlich wichtig zu sein.

Salar de Uyuni Tour

Der üblichste Weg von San Pedro nach Bolivien ist eine dreitägige Jeep-Tour durch eine Reihe weiterer spektakulärer Landschaften nach Uyuni. Auch diese Tour wird von vielen Agenturen angeboten. Wir müssen allerdings eine finden, die bereit ist, mein Rad mitzunehmen. Ich möchte es dann zwar stehenlassen und später abholen, aber zumindest bis über die Grenze nach Bolivien soll es mit.

Wir finden tatsächlich einen Veranstalter, der bereit ist, das Rad aufs Dach zu packen: die Ventura Travel Agency und der bolivianische Partner Expediciones Manuel erklären sich bereit zum Radtransport. Einziger Nachteil: an diesem Tag gibt es keinen englischsprachigen Guide. Nach kurzer Bedenkzeit erklären wir, dass wir soeben Spanisch gelernt haben und buchen.

Es stellt sich heraus, dass auch die anderen Teilnehmer die Sache mit der Sprache nicht so ernst genommen haben: unter den sechs Teilnehmer*innen sind zwei Chinesinnen, von denen nur eine einigermaßen Englisch kann, keine Spanisch, ein Paar aus Brasilien (sie kann Recht gut Spanisch, er deutsch, keiner Englisch und wir ( Englisch, ich ein bisschen Spanisch). Alle tun ihr bestes, um sich zu verständigen, ich (gerade so zwei Brocken Spanisch) fange irgendwann an, Spanisch – Englisch zu übersetzen und tatsächlich funktioniert alles überraschend gut.

Die Tour führt über eine Reihe von durch unterschiedliche Minerale gefärbte Lagunen, zu Flamingokolonien,  weiteren Geysiren und zu heißen Quellen. Es geht auch ziemlich direkt von 2300 Höhenmetern auf fast 5000 und dann wieder etwas herunter auf 4000. Was soll ich sagen, alle mit Ausnahme des Fahrers kämpfen um ihre Sauerstoffsättigung, Cocablätter werden verteilt, außerdem Kopfschmerztabletten. (Zitat von meiner Tochter: „Ich glaube, ich sterbe.“)

An den kommenden Tagen gibt es Spaziergänge zu bizarren Felsformationen und schließlich Fotosessions auf dem Salar de Uyuni, der gerade ungefähr 10 cm unter Wasser steht.

Titicacasee, Isla del Sol

Das offensichtlichste Ziel am Titicacasee ist Copacabana. Andere Reisende haben uns aber vor diesem Ort gewarnt: sehr touristisch, laut, nicht besonders interessant. Also machen wir dort nur einen kurzen Stopp, bevor wir uns in eine Fähre zur Isla del Sol, genauer gesagt nach Chalapampa am Nordende der Insel setzen. Es ist ein kleiner, ruhiger Ort direkt am See an der Verbindung zu einer Halbinsel. Die Tage auf der Isla del Sol sind wirklich ruhig und entspannend. Wir wandern einmal um die komplette Insel, fast 20 km und insgesamt natürlich recht anstrengend, aber sehr schön. Zu sehen gibt es eine Reihe Ruinen aus der Inkazeit, eine größere Anlage im Norden und ein paar Dinge im Süden der Insel, außerdem schöne Ausblicke auf den See und viele Alpacas. Nach den anstrengenden Tagen um den Salar de Uyuni ist es genau das richtige.

Copacabana

La Paz

Die Ankunft in La Paz ist erstmal ein Schock: eineinhalb Stunden lang quält sich der Bus durch die Straßen von El Alto und La Paz. Überall halbfertige, niedrige Ziegelbauten, steile Straßen und Rußwolken aus den Auspuffen von kleinen und größeren Bussen. Man hat Lust, das Atmen einzustellen, stattdessen keucht man in der Höhe von der kleinsten Anstrengung.

Zum Glück verbessert sich der Eindruck nach kurzer Zeit. Nicht jede Straße ist voller Autos, es gibt große, interessante Märkte und gute Restaurants.

Wir tun die üblichen Dingen: Sehenswürdigkeiten ansehen, Stadtführung machen und Seilbahn fahren.  Ja, La Paz hat Seilbahnen als öffentliche Verkehrsmittel quer durch die Stadt und die Nachbarstadt El Alto gebaut. Die Bahnen sind Klasse. Man steigt ein, es wird plötzlich ganz still und man bekommt den besten Eindruck von der Stadt. Teilweise fahren die Bahnen zwischen Hochhäusern hindurch, teilweise hoch über der Stadt.

El Choro Trek

Außerdem bereiten wir unser nächstes Abenteuer vor: die Wanderung auf dem El Choro Trek, einem Weg aus der Inkazeit, der in drei bis vier Tagen aus fast 5000 m Höhe hinunter in die Yungas führt. Wir kaufen Lebensmittel für die ganze Strecke und fragen bei Tourveranstaltern, ob der Weg trotz noch andauernden Regens machbar ist. Zwei Frauen in unterschiedlichen Büros raten uns  ab, sagen aber, dass sie nichts definitives sagen können. Ein Mann erklärt uns eine dreiviertel Stunde lang den gesamten Weg, sagt, dass es schon OK ist und leiht uns Wanderstöcke. Das Problem: normalerweise dauert die Regenzeit etwa bis März. Es ist Anfang April, aber es regnet und regnet. Das bedeutet: rutschige Steine auf dem Weg bergab, viel Matsch, viel höhere Wasserstände an den zu überquerenden Flüssen.

Wir machen uns trotzdem auf den Weg. Gleich zu Anfang nehmen wir einen falschen Abzweig und müssen deshalb den Aufstieg auf fast 5000 Meter Höhe zweimal machen. Wir bewegen uns in Zeitlupe. Danach fängt es an zu regnen, dann zu graupeln. Die alten Wege aus der Inka-Zeit sind bei diesem Wetter berüchtigt rutschig. Also wieder Zeitlupe. Währenddessen wird die ursprüngliche Wüstenlandschaft langsam grüner. Erst sind Flechten zu sehen, dann Grasbüschel, schließlich der erste Baum. Am Ende schaffen wir es am ersten Tag nicht zum geplanten Campingplatz. Stattdessen schlagen wir das Zelt, als es schon dunkel wird, mitten auf dem Weg auf – das ist der beste Platz, den wir finden. Und da wir so gut wie noch keinen Menschen getroffen haben, ist auch nicht damit zu rechnen, dass wir nachts jemanden stören.

In der Nacht regnet es kaum unterbrochen weiter.

Am zweiten Tag machen wir nachmittags etwas eher Schluss – in Bellavista,  einem Campingplatz, wo wir das Zelt unter einem Dach aufstellen können. Das bedeutet allerdings, dass wir statt dreier Tage vier brauchen werden – und das wir entsprechend nicht genug Lebensmittel dabei haben. Immerhin können wir zwei Eier und ein paar Kekse kaufen.

Die wirkliche Herausforderung kommt am dritten Tag: am späten Vormittag  kommen wir an einen Fluss, über den einmal eine wunderschöne Hängebrücke führte. Von der sind allerdings nur noch die Drahtseile übrig. Der Fluss wiederum wirkt reißend, einfach durchspazieren können wir nicht. Wir versuchen es ein Stück flussaufwärts. Samt Schuhen  tasten wir uns durch die Strömung. Auf der anderen Seite des Flusses scheint ein Weg nach oben zu führen. Das muss doch wohl der provisorische Anschluss an unseren Weg sein?

Wir klettern hinauf. Der Pfad ist extrem steil, wir ziehen uns an der Vegetation hoch, an einer Stelle hängt ein Seil. Leider stellt sich, als wir oben sind, heraus, dass dieser Pfad nichts mit unserem Weg zu tun hat. Er trifft auf eine Wasserleitung und folgt dieser. Wir müssen zurück nach unten. Den Pfad, den wir kaum aufwärts geschafft haben. Zum Glück geht alles gut. (Zitat meiner Tochter: „Ich dachte, wir gehen Wandern, nicht ungesichert mit 8 kg Gepäck klettern.“) Wie wir über den Fluss kommen, wissen wir leider immer noch nicht. Auf der richtigen Seite des Flusses am flussbett entlang zu gehen, funktioniert nicht. Es gibt eine Steilküste und starke Strömung. Also zurück über den Fluss.

Ich versuche mich ein paar Meter an den Stahlseilen der kaputten Brücke entlang zu hangeln. Prinzipiell möglich, aber extrem unangenehm. Schließlich versuchen wir mehrere Stellen im Fluss und haben schließlich Glück: an einer Stelle befindet sich eine große Steinplatte, über der das Wasser nicht ganz so tief ist. Millimeterweise tasten wir uns vorwärts. Die Flussüberquerung, die man normalerweise in ein paar Minuten hätte machen können, hat drei Stunden gedauert.

Auch der nächste Platz, auf dem wir übernachten, heißt Bellavista. Bestimmt bietet er auch eine tolle Aussicht – allerdings nicht als wir da sind, wir bekommen im Wesentlichen Nebel zu sehen.

Der letzte Tag bringt glücklicherweise keine weiteren Abenteuer: gegen Mittag kommen wir in Chairo an, einem kleinen Ort am Ende des Weges. Dort hängt ein Whiteboard mit Namen – es ist schon genau organisiert, wer dran ist damit, Touristen zum nächsten größeren Ort zu bringen, von wo der Bus zurück nach La Paz fährt.

Für meine Tochter ist die Reise schon wieder zu Ende (schade!). Sie setzt sich in den Bus nach Santa Cruz, ich mache mich auf den Weg, mein Rad in Uyuni abzuholen.